15 Oktober 2006

Sur de Bolívar – die aktuelle Situation

Der "Sur de Bolivar" ist der südliche Teil der Provinz Bolivar und befindet sich im „mittleren Norden“ (7°N 74°W) Kolumbiens. Es ist eine leicht bergige Region zwischen 1000 und 2000 Metern Höhe mit dichtem Regenwald und feucht warmen Klima. Das Gebiet ist infrakstrukturell nicht erschlossen und wird nur von einem spärlichen Maultierpfadnetz durchzogen.
Bis 1998 wurde das der Sur de Bolivar vollständig von der Guerilla (ELN und FARC-EP) kontrolliert. Dann starteten paramilitärische Einheiten eine Offensive in die Region. Sämtliche Dörfer und Häuser wurden in den folgenden sechs Jahren zwei bis drei Mal niedergebrannt. Zuletzt im Mai/Juni 2004.
Mit Terror, Mord und Zerstörung versuchten die Paramilitärs, die Bevölkerung aus der ressourcenreichen Zone zu vertreiben. Der Sur de Bolivar bietet Gold, Wasser, Tropenholz und landwirtschaftliche Flächen für Monokulturen der Agrarexportwirtschaft. Der kolumbianische Staat versucht unter starkem Einfluss der USA und der EU, diese Region für multinationale Firmen interessant zu machen.
Seit 2004 verfolgt die Regierung Uribe auf Druck Washingtons eine „Demobilisierungskampagne“ der Paramilitärs, da diese auf einer US-Liste von „Terrorvereinigungen“ stehen. Die offizielle Demoblisierung, ist jedoch real als Umstrukturierung zu verstehen. Viele Ehemalige der Todesschwadronen haben heute ihren Platz in privaten Sicherheitsfirmen oder dem Militär gefunden – oder sie agieren weiter in der Illegalität, nur unter anderen Namen wie „Aguilas Negras“ (Schwarze Adler).
Da in Kolumbien offiziell keine Paramilitärs existieren übernimmt das Militär heute die Aufgaben, die zuvor von den Paramilitärs durchgeführt wurden. Allerdings ist das Militär von Paramilitärs durchsetzt, sodass der Unterschied zwischen den legalen und den illegalen staatlichen Kampfeinheiten zunehmend verschwindet.

Ist das Militär unbeobachtet, was in Regionen wie dem Sur de Bolivar die Regel ist, so wendet es oft Mittel der Repression an, die denen der Paramilitärs verwandt sind. Unter (internationaler) Beobachtung muss sich dieses Staatsorgan jedoch allen Gesetzen des nationalen Rechts und der Genfer Konventionen unterwerfen, um nicht für etwaige Verstöße zur Verantwortung gezogen zu werden. Damit würde ungewollte Aufmerksamkeit auf die Menschenrechtsverbrechen der Armee gelenkt werden, was nicht im Interesse eines Staates ist, der auf die Gelder von Außen angewiesen ist. Dies ist der größte Unterschied zwischen den legalen und illegalen Gruppen und genau diesen machen wir uns mit unserer Begleitarbeit zu nutze.
Die Bevölkerung reagiert auf die Repression – von wem auch immer sie ausgeht – primär mit Flucht. Doch mit einem gewissen zeitlichen Abstand kehren die meisten in ihre Dörfer zurück und bauen ihre Häuser erneut auf. In dieser Phase des Wiederaufbaus gewinnt die politische, soziale und ökonomische Organisation an Bedeutung. Basisorganisation ist nötig, um sich vor erneuter Repression schützen zu können und so kreiert der Staat genau das, was er zerstören will – Widerstand gegen das vorherrschende System.
Heute organisieren sich die Dorfbewohner und solidarisieren sich mit den umliegenden Gemeinden. So ist ein Netzwerk entstanden, dass auf jede Art von Repression (wie Morde an politischen Führungskräften) mit vereinter Stimme und Aktionen reagiert und zudem mit städtischen und internationalen sozialen und politischen Organisationen verknüpft ist.

Neben dem politischen Widerstand gegen die Ausbeutung der Region, die mit der Repression vorangetrieben werden soll, wächst durch die eigene Organisation auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit die Lebensverhältnisse in der Region zu verbessern. Die schwerwiegendsten Defizite dieser abgelegenen Zone sind das Fehlen von Schulen, Ärzten, Strom und Kommunikationsmitteln sowie der zeitraubende und damit teure Zugang. Der Staat ist einzig durch das Militär präsent.

Die Menschen versuchen durch einfachsten Ackerbau (ohne maschinelle Hilfe) ihre Ernährung autark zu gewährleisten. Es wird hauptsächlich Reis, Bohnen, Mais, Yuca, Zuckerrohr, tropische Früchte und Platano (Kochbanane) angebaut. Da sich die erzeugten Agrarprodukte jedoch nicht in Konkurrenz zu subventionierten und maschinell, in erschlossenen Gebieten, erzeugten Produkten verkaufen lassen, sind die Bauern auf den Cocaanbau angewiesen, um ihren Lebensunterhalt (über die Nahrungsmittel hinaus) zu sichern.

Von staatlicher Seite wird argumentiert, dass die militärische Präsenz in der Zone notwendig sei, um die Guerilla und den Cocaanbau zu bekämpfen. Leider, so von offizieller Stelle, verursache dieser Krieg Vertreibung unter der Zivilbevölkerung. Eine umgekehrte Schlussfolgerung : Der Krieg ist notwendig, um die Vertreibung voran zu treiben und die Reichtümer des Sur de Bolivar auszubeuten.

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