05 März 2008

Demo für die Opfer des Paramilitarismus


Am Donnerstag den 6.3.2008 findet die Demonstration für die Opfer des Paramilitarismus statt. Nach der Groß-Demo am 14. Februar „gegen die Gewalt“ ist dies die zweite Marcha innerhalb von nicht einmal vier Wochen statt. Warum wird landesweit innerhalb von so kurzer Zeit zu Groß-Demonstrationen aufgerufen?

Die Marcha 14F wurde vom amerikanischen StudiVZ Vorbild Facebook aus initiiert. Medien und Regierung in Kolumbien nutzten die anfangs kleine Schar von Gruppen-Mitgliedern im Facebook und setzten sich an die Spitze. Die Organisation, der Aufruf, Fahnen, T-Shirts etc wurde gezielt von den regierungsunkritischen Medien gezielt gepusht und am Ende fanden sich mehrere Millionen Kolumbianer auf der Strasse wieder um gegen die FARC-EP (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens - Armee des Volkes) zu demonstrieren, unter anderem nachdem die Paramilitärs, die AUC (Autodefensas Unidas de Colombia- Vereinigte Selbstverteidigung Kolumbiens) auf ihrer Internetseite zur Teilnahme aufgerufen hatten.

NO MÁS VIOLENCIA, NO MÁS SECUESTRO, NO MÁS FARC war der Slogan der ueberall zu lesen war. In den stundenlangen Live-Übertragungen im Fernsehen war dann aus dem „Marsch gegen die Gewalt“ eine Großmobilisierung gegen die FARC geworden. Was von vielen, unter anderem den „Angehörigen der Opfer der Verbrechen des Staates“ (Movimiento de Víctimas del Estado), kritisiert wurde ist die Tatsache dass diese Sicht auf den internen Konflikt zu einseitig und nicht weit genug geht, da die vielen Opfer der Verbrechen der Paras oder auch der Armee nicht repräsentiert waren, geschweige den die Hunderttausenden Vertriebenen.
Inwieweit diese Massenmobilisierung gesteuert und lanciert wurde, wird nicht nur an der Berichterstattung der Medien, vor allem den großen Fernseh- und Radiostationen deutlich, sonder auch an der Nicht-Tolerierung anderweitige Meinungen während der Demo. So wurden beispielsweise Gruppen mit regierungskritischen Plakaten nicht nur verbal angegriffen und der bekannte Professor Gustavo Moncayo, der im November hunderte Kilometer für die Freilassung seines Sohnes in Händen der FARC und den Acuerdo Humanitario (die Menschliche, also die diplomatische Lösung des Konflikts) eintritt, von einer Veranstaltung vertrieben.
Aufgrund dieser Eigenheiten der Massenmobilisierung wurde von dem „Movimiento de Víctimas“ erneut zu einer Demo aufgerufen. Eigentlich „Marcha para las Víctimas“ (Demo für die Opfer), hat der Name der Demo am Donnerstag immer wieder Änderungen von den verschiedenen Seiten erfahren. War es anfangs ein Aufruf der in Studentenkreisen, sozialen Organisationen und nationalen NGOs kursierte, kristallisiert sich nun folgendes heraus. Durch die Tatsache das z.B. der Polo (siehe voriger Eintrag), Noam Chomsky oder auch viele Organisationen in der ganzen Welt zur Teilnahme bzw. zu Solidaritätsaktionen aufgerufen haben, kann sich das Establishment nun nicht mehr taub stellen. Zwar wurden Stimmen laut, die Demo sei von den FARC organisiert (ein typisches Phänomen im Uribismo: Jedwede Opposition sympathisiert oder unterstützt die Terroristen der FARC) und in den von den Paras kontrollierten Barrios in Medellin kursierten angeblich Flugblätter, dass jeder der an der Demo teilnimmt automatisch mit dem Tod bedroht ist.

Nichtsdestotrotz: Fast alle Medien berichten über die Demo des 6M und das Thema wird in den Meinungsseiten der Zeitungen ausführlich diskutiert. Der Tenor ist: Die Veranstaltung einer zweiten Demo zeugt von einer funktionierenden Demokratie! Ja, das hat George W. angesichts der größten Demo in Washington seit dem Vietnam-Krieg (Foooreest!) 2003 auch gesagt….

Über die Demo, Fotos, Eindrücke, Meinungen, Berichterstattung etc. gibt´s dann hier an gleicher Stelle Ende dieser Woche.

29 Oktober 2007

Kolumbien hat gewählt

Am gestrigen Sonntag wurden in Kolumbien gewählt, Buergermeister, Stadträte, Gouverneure und die Regionalparlamente.
Ein kleiner Überblick:

In Medellin geht Alonso Salazar als Sieger hervor und schlägt etwas überraschend den Ex-Bürgermeister Luis Perez, dessen verschwenderische Finanzpolitik von vielen bereits vergessen wurde und der darüber hinaus auf der Liste der Kandidaten steht, die laut der Wochenzeitung Semana ein extremes bzw. hohes Risiko für die Demokratie darstellen. (Auf der Liste findet sich unter anderem der gewählte Gouverneur von Antioquia Luis Alfredo Ramos) Zumindest wird es jetzt nicht für alle Haushalte einen Computer + kostenloses Internet geben, wie es Perez versprochen hatte. Salazar steht klar für Kontinuität, wie er im Wahlkampf immer wieder betont hatte. Der aktuelle Bürgermeister Sergio Farjado hat viel für die Stadt getan, massenhaft Geld in die Infrastruktur gepumpt und das nicht nur in den Stadtteilen der Ober- und Mittelschicht, sondern auch in marginalisierten Vierteln, wie das auf dem ehemaligen Müllberg der Stadt gebaute Moravia. Dennoch, in der Dunkelheit beleuchtete Bibliotheken in die "barrios populares" zu setzen, reicht bei weitem nicht. Es wird zwar viel getan, vor allem im kulturellen Bereich, doch proportional ist das vielen noch zu wenig und wird teilweise als scheinheilig empfunden. ("Tapar el sol con el dedo" - "Die Sonne mit dem Daumen verdecken" sagte treffend eine Freundin.)Medellin (als größte Stadt im gesamten Valle de Aburrá) und die anliegenden Städte sind durchsetzt mit para-militärischen Strukturen, wogegen die Politik wenig unternimmt oder dies sogar unterstützt. Medellin beherbergt die höchste Anzahl demobilisierter Para-Militärs, die nach ihrer "Legalisierung" durch das "Ley de Justicia y Paz" Teile des Transportsystems und die größte Kette von Wettbüros betreiben. Darüber hinaus kontrollieren die "Paracos" die Elendsviertel auf den Hüglen der Stadt, wo viele vom Konflikt Vertriebene in Häusern aus Wellblech und Karton hausen und teilweise sogar Miete für diese Unterkunft bezahlen müssen. Von diesen Umständen in der "gebildetsten Stadt" war im Wahlkampf kaum die Rede.

In Bogotá konnte der Polo Democrático Alternativo, die einzige demokratische linke Opposition, ihren Bürgermeisterposten verteidigen. Samuel Moreno schlägt damit den Kandidaten des Präsidenten Uribe, was vielfach als schwere Niederlage des Letzteren interpretiert wird. In den letzten Tagen vor der Wahl hatte Uribe mehrfach gegen den Polo gewettert und, wie so oft, in Verbindung mit der FARC-Guerrilla gebracht. Die noch immer andauernde Polemik der Regierung Uribe, der über seine Minister nicht aufhört Moreno und den Polo zu diffamieren, zeigt nur zu deutlich, wie sehr es den Präsidenten schmerzt in der Hauptstadt nicht "seinen" Kandidaten durchgesetzt zu haben. (Wie übrigens in einem Großteil der Städte, auch in Medellin und Cali, und Departamentos gelungen, wenngleich der Standard heute gegenteiliges berichtet.

Land auf Land ab wird derweil bewertet, inwieweit sich der Polo als Oppositionspartei etablieren konnte. Außer das sicherlich prestigeträchtigste Amt, den Bürgermeisterposten in der Hauptstadt errangen "die Gelben" den Gouverneursposten in Nariño, der an Ecuador angrenzenden Südprovinz. Auf den ersten Blick relativ wenig, doch muss bedacht werden dass der Polo eine im Aufbau befindliche Bewegung ist und vor wenigen Jahren noch kaum eine Rolle auf der politischen Bühne spielte. So sind beispielsweise 60.000 Stimmen für den Gouverneurskandidaten in Antioquia ein äußerst beachtliches Ergebnis dafür, dass zum ersten Male ein Kandidat für diesen Posten aufgestellt werden konnte.Dennoch: Da so gut wie alle Parteien und Bewegungen mal mehr mal weniger Teile des "Uribismo", der rechts-konservativen Politik des ersten Mannes im Staate sind, scheint der Weg des Polo noch sehr lang zu sein. Die Wahlen waren sicherlich ein positives Zeichen und haben gezeigt, dass die vom Polo angebotene Alternative von vielen Teilen der Bevölkerung angenommen wird und nicht alle wortlos die Politik Uribes und seiner Handlanger hinnehmen. Ein sicherlich gutes Zeichen für die Präsidentenwahlen im Jahr 2010, doch der Weg ist noch lang und sehr, sehr steinig.

Am Wahlwochenende, an dem übrigens kein Alkohol verkauft werden darf, hatten viele auch mit einem Bombenanschlag der FARC gerechnet. Doch die Strategie scheint sich geändert zu haben: 29 Kandidaten des Uribismo wurden im Vorfeld von den FARC ermordet und die Bevölkerung wurde auf diese Weise eingeschüchtert. Im Gegenzug wissen die Paras allerdings auch ihre Kandidaten durchzusetzen bzw. die ungeliebten, meist dem Polo zugehörigen, via Morddrohungen teilweise zum Rücktritt zu bewegen.
Die Wahlbeteiligung lag im Durchschnitt bei etwas mehr als 50%.

24 Juni 2007

"Los estudiantes no somos terroristas!!"

Seit nun mehr fünf Wochen befindet sich meine Uni, die Universidad de Antioquia, in Asamblea Genral Permanente (permanente Generalversammlung). Erklären die Studenten oder Professoren sich in „permanenter Versammlung“ bedeutet das, dass so gut wie kein Unterricht in allen Fakultäten stattfindet. Damit ist meine Uni gleichgezogen mit fast allen staatlichen Universitäten des Landes, die ab dem 2. Mai nach und nach in Asamblea getreten sind.
Der Grund dieser so genannten „Paros“ liegt in Reformplänen der Regierung. Der (nicht verfassungskonforme) „Plan Nacional de Desarollo“ (PND) sieht enorme Kürzungen im Bereich der öffentlichen Bildung vor. Die Studenten der staatlichen Universitäten befürchten, wie mittlerweile von einzelnen Uni-Rektoren bestätigt, dass sich die Uni das fehlende Geld bei den Studenten via „Matrikulationsgebühren“ zurück holt. Professoren und Angestellte der Universität müssen mit Stellen- und Gehaltskürzungen rechnen. Ähnlich den Studiengebühren in Deutschland würde das zu einer Privatisierung der Universität führen und vielen Jugendlichen den Weg zu höherer Bildung verbauen. Den landesweiten Studentenprotesten, die zahlenmaessig groessten seit vielen Jahren, haben sich ebenfalls Lehrer und Schüler der staatlichen Oberschulen angeschlossen. Am 23. Mai kam es aus diesem Grund zu einem landesweiten Generalstreik, begleitet von Demonstrationen im ganzen Land wobei es in Bogotá 1 Million Menschen waren, die für den Erhalt des öffentlichen Bildungsystems eingetreten sind.

Die Kürzungen im besagten Bereich sind aber lediglich der unmittelbare Anlass der Proteste, zugleich richten sich diese auch direkt gegen die Regierung von Präsident Álvaro Uribe Velez. Zum einen ist es die neoliberale und unsoziale Politik der Regierung, die zunehmende Militarisierung des Landes und vor allem der seit mehr als einem Jahr schwelende Para-Politik Skandal (viele sprechen mittlerweile gar von „narco-para-politica“). Dabei werden immer wieder und immer engere Verbindungen von Bürgermeistern, Gouverneuren und Kongressmitgliedern (letztere stammen allesamt aus der Partei des Präsidenten) bis zu engsten Vertrauten des Präsidenten zu den para-militärischen Einheiten bekannt. Uribe selbst konnte, auch wenn es erstens nur eine Frage der Zeit zu sein scheint und zweitens die Hinweise schon seit längerem zaunpfahlschwenkend im Raum stehen, noch keine direkte Verbindungen zu den AUC (Autodefensas Unidas de Colombia) nachgewiesen werden.

















Im Zuge des „paros“ kommt es wiederholt zu großen Demonstrationen oder kleineren Aktionen wie die Blockade angrenzender Strassen und der Campus wird für vielfältige Aktionen genutzt. In der Universidad de Antioquia werden zahlreiche Infoveranstaltungen und Konzerte veranstaltet, Dokumentarfilme gezeigt und Protestcamps organisiert, kurz gesagt der Raum und die Zeit genutzt, um die Bedeutung der öffentlichen Bildung zu unterstreichen und auf die Folgen der Reformpläne aufmerksam zu machen. Aufmerksam zu machen ist dabei nicht so einfach wie man denken mag. Die Demos mit, wie im Falle Medellins, 30 000 Menschen finden in Zeitung und Fernsehen kaum Platz oder werden dank der Kontrolle der Medien durch einige wenige Familien der Oligarchie vollständig ignoriert.













Zugleich wird das von der Regierung propagierte Bild von „Terroristen“ und subversiven Kräften die den Protest in die Unis tragen und angeblich die Stabilität und den vermeintlichen Frieden des Landes gefährden, vielfach von den Medien übernommen und findet dementsprechend seinen Niederschlag in der Meinung der Durchschnittsbevölkerung. Dadurch legitimiert Uribe wiederum das repressive Vorgehen gegen die Studenten. Während an der Universidad Nacional mit ihrem Hauptstandort Bogotá die Ferien vorgezogen wurden um die Bewegung einzudämmen, sind Polizeieinheiten in die Uni Cauca in Popayan und die Uni Caldas in Manizales eingedrungen und haben den friedlichen Protest der Studenten mit Gummigeschossen, Tränengas und willkürlichen Verhaftungen vorübergehend beendet.
Die Angst vor den Polizeieinheiten, den ESMAD (Escuadrón Movíl Antidisturbios), ist beispielsweise bei den nächtlichen Camps auf dem Gelände der Uni Antioquia bei vielen spürbar, nicht zuletzt weil diese Einheiten vor zwei Jahren bei einer Räumungsaktion in Cali einen Studenten erschossen haben. So lief das Camp der letzten Woche unter den Augen zweier Räumpanzer ab, die einsatzbereit vor den Toren der Uni standen, letzten Endes aber nicht eingegriffen haben.


Der absolut friedlichen Blockade der Via Regional am darauf folgenden Freitag, der an den Unicampus angrenzenden Stadtautobahn, begegnete ESMAD mit 4 Räumpanzern und ausführlicher Gewaltanwendung. (Was wiederum zu Widerstand einiger Studenten mit Molotovcocktails und Knallkörpern führte und dann dementsprechend verdreht in Zeitung und Nachrichten landete).
















Aktueller Stand an meiner Uni ist, dass einige wichtige Punkte des von der Generalversammlung aufgestellten Forderungskatalogs zum Teil vom Rektorat zugestanden worden sind. So unter anderem die Verpflichtung des Rektors, die Matrikulationsgebühren nicht zu erhöhen. Allerdings stehen noch einige wichtige Punkte aus, die in den nächsten Verhandlungsrunden im Laufe der nun beginnenden zweiwöchigen (regulären) Ferien durchgesetzt werden sollen. Das von der Generalversammlung gewählte Studentenkommitte ist zu Recht hocherfreut über die breite Unterstützung der gesamten Studenten der Uni, weiß aber zugleich dass sie es mit einem sehr kooperationswilligen Rektor zu tun hat. An anderen öffentlichen Unis in Kolumbien ist das nicht so, der Rektor der Universidad Nacional, Maurice Wassermann, ist beispielsweise vom Präsidenten Uribe eingesetzt worden und, wie erwähnt, voll auf Regierungskurs, wenn er den studentischen Protest kriminalisiert.

Homepage der Asamblea Permanente der UdeA



22 Mai 2007

Kaffee aus Vietnam


Vergangenes Wochenende hatte ich die Möglichkeit etwas 2 Stunden nördlich von Medellin auf eine „Finca“ zu fahren. Eine Finca ist das Wochenendhaus des wohlhabenden Städters, manchmal aber auch nur ein einfaches Bauernhaus. Eine Finca zu haben ist hier in Medellin wie in vielen Teilen Kolumbiens nicht die Ausnahme, wie beispielsweise das Ferienhaus auf Mallorca in Deutschland, sondern eher die Regel. Das liegt daran dass z.B. das Land im Departement Antioquia, dessen Hauptstadt Medellin ist, nicht sehr dicht bevölkert und aufgrund der Menge zugleich relativ kostengünstig ist. Darüber hinaus ist es aufgrund der herrschenden klimatischen Bedingungen sehr fruchtbar.


Die Landwirtschaft Kolumbiens hingegen liegt mehr oder weniger am Boden. Das Land importiert Grundnahrungsmittel wie Reis, Linsen, Bohnen oder Mais aus anderen südamerikanischen Ländern und das Produkt mit dem man gemeinhin Kolumbien assoziiert, der Kaffe, ist hauptsächlich zum Export bestimmt während die Kolumbianer selbst entweder den Kaffee der unteren Qualitätsstufe konsumieren oder zum Teil importierten Kaffee aus Vietnam trinken.

Am Beispiel Antioquia konnte ich mir selbst ein Bild davon machen. Die Region lebt hauptsächlich von der Milchproduktion oder vom Anbau der Baumtomate („tomate de arbol“) Diese Pflanzungen sind relativ kostspielig was bedeutet dass nicht alle Bauern es sich leisten können eine solche Pflanzung zu unterhalten.

Die Vorraussetzungen für eine funktionierende Landwirtschaft sind also durchaus gegeben, dennoch fehlt es den einfachen Bauern an Kapital um mehr anzubauen als für die Subsistenz notwendig ist. So liegen das Terrain was sie besitzen oftmals brach und die Männer müssen sich als Saisonarbeiter auf den großen Haziendas verdingen um ihre Familien über Wasser halten zu können.

Die Milchbauern sehen sich dem Problem gegenüber dass der Milchpreis von der einzigen Abnehmerfirma Colanta, die einem Kongressabgeordneten gehört, diktiert werden kann bzw. diktiert werden müsste, sollte das Freihandelsabkommen TLC vom amerikanischen Kongress ratifiziert werden.

Hinzu kommt das Problem des Großgrundbesitzes. Die terratenientes halten an ihren Besitzungen fest und kultivieren, wie beispielsweise in Antioquia (in anderen Regionen sind es die Palmölplantagen) die pflegeleichten Pinien für die Holzproduktion auf mehreren hundert Hektar, roden dafür den Wald und erzielen so ohne große Arbeit zusätzliche Gewinne, die sie aufgrund ihrer jahrzehntelangen Vormachstellung ohnehin schon in der Stadt gewinnbringend investiert haben. Der einfache Bauer hingegen sucht einen Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere in der großen Stadt, wo er dann über keinen Quadratmeter verfügt, um auch nur etwas Mais anzubauen.









Die Ursache für diese paradoxe Situation, fruchtbarstes, massenweise vorhandenes Land gegenüber einer kaum effizienten Landwirtschaft, liegt zum einen in den Interessen der Großgrundbesitzer, die nach wie vor großen Einfluss auf die Politik haben, zum anderen ist es die Regierung. Diese zeigt keine Anstrengungen mit staatlichen Investitionen der nationalen Landwirtschaft auf die Beine zu helfen. Die Gelder, Steuereinnahmen sowie die jährlich von den Vereinigten Staaten zur Verfügung gestellte Summe, jährlich eine halbe Milliarde US-Dollar, werden größtenteils für den „Plan Colombia“ oder „Plan Patriota“ im Kampf gegen die Guerilla und den Drogenanbau verpulvert. Das es bei diesen Unternehmungen um mehr oder besser gesagt um etwas anderes als Drogen- und Kommunistenbekämpfung geht, zeigen denke ich deutlich die vorangegangenen Schilderungen in diesem Blog.




17 Mai 2007

Drohungen gegen MenschenrechtsaktivistInnen

wie ihr wisst, habe ich mich im Rahmen des internationalen Begleitprojekts zum Schutz bedrohter sozialer AktivistInnen nach Kolumbien begeben. Dieses Begleitprojekt wird von dem europäischen Netzwerk "Red europea de Hermandad" getragen, dem auch die Kolumbienkampagne Berlin angehört, über die ich nach Kolumbien gelangt bin. Wie mir gestern mitgeteilt wurde, gab es ernste Drohungen gegen die internationale Menschenrechtsarbeit des europäischen Netzwerkes. Diese Drohung betrifft die Aktivisten im Sur de Bolivar, genau die Region, in der auch ich hauptsächlich aktiv war. Insofern gilt sie auch indirekt mir.

Im Folgenden findet ihr die wörtliche Drohung und die Reaktion des Netzwerks (in deutscher Übersetzung). Bitte solidarisiert euch mit den Menschen, die versuchen, der Bevölkerung des Sur de Bolivar Hoffnung und Schutz zu geben und macht die Erklärung bzw. die enthaltenen Vorgänge in den euch zur Verfügung stehenden Einflussbereichen bekannt.

Vielen Dank und beste Grüße.


Erklärung:
  • Europäische und kolumbianische Menschenrechtsgruppen, die die unabhängigen Gemeinden im Konfliktgebiet „Sur de Bolivar“ begleiten wurden bedroht
  • Drohungen auch gegen die SprecherInnen der Goldschürfergemeinden

1. Am Samstag, den 12. Mai 2007, empfing das Europäische „Red de Hermandad y Solidaridad con Colombia“ eine Email, in der das Leben, die physische Integrität und die Arbeit der Mitarbeiter/innen der internationalen Begleitorganisationen, welche die Gemeinden der Region Sur de Bolívar unterstützen, bedroht wurden.

2. In derselben Nachricht werden auch die Mitarbeiter der „Federación Agrominera - der regionalen Minenarbeiterorganisation - und namentlich deren Präsident TEOFILO MANUEL ACUÑA, bedroht. TEOFILO MANUEL ACUÑA war einige Tage zuvor Opfer einer illegalen Verhaftung durch das Militärbatallion „Nueva Grananda“ der V. Heeresbrigade des kolumbianischen Militärs geworden und war 10 Tage lang seiner Freiheit beraubt, bevor der Staatsanwaltschaft die Anordnung zu Wiederfreilassung gab.

3. Die Nachricht wurde von der Emailadresse juandavid1632893@hotmail.com, die auf den Namen "Juan David González Morales" angemeldet ist, an die Emailadresse des europäischen Netzwerks redeuropea@redcolombia.org verschickt.

Die Nachricht enthielt folgenden Text:

„Ich bin sehr besorgt wegen der Aktivitäten des Staatsanwalts des Simiti Plutarco, vor allem wegen der NGO´s, die ihn unter Druck gesetzt haben, um diesen Terroristen freizulassen, der der Bevölkerung des Sur de Bolivar nur schadet. Es ist bekannt, dass Teofilo und viele Anführer der Minenarbeiter die Gewinne der Minen umleiten, um Narkoterroristen wie die ELN zu unterstützen und zu stärken, aber mit Gottes Hilfe wird das bald aufhören. Den Ausländern der NGO´s werden ihre stinkenden Länder noch sehr fehlen, weil sie eines Tages durch die rechtmäßig von Gott geschaffenen Armee gefasst werden“

4. Diese Drohung ist kein isolierter Vorfall. Sie steht im Zusammenhang mit der Verfolgung der Gemeinden des Sur de Bolivar und der kolumbianischen und internationalen Organisationen, die sie und die sozialen Prozesse zur Verteidigung ihrer Interessen und der Verteidigung ihres Lebens unterstützen.

5. Seitdem das multinationale Unternehmen „Anglo Gold Ashanti“ und seine Tochterfirma „Kedahda“ entschieden haben, sich das Territorium der Minenarbeiter des Süden von Bolívar anzueignen, ist die Anzahl der durch das kolumbianischen Militär verübten Menschenrechtsverletzungen enorm angestiegen. Das Militär hatte öffentlich erklärt, sich zum Schutz des Unternehmens in der Region zu befinden.

6. Es wurden zahlreiche Terrormethoden eingesetzt, um die Organisationsprozesse der Region zu zerstören und die EinwohnerInnen dazu zu bringen, das Gebiet an das Unternehmen Anglo Gold Ashanti abzutreten: u.a. das Abbrennen von Häusern, Raub, Plünderungen, Stigmatisierungen, Drohungen, Besetzungen, willkürliche Verhaftungen, außergerichtliche Hinrichtungen sind Maßnahmen, mittels derer versucht wurde, die Minenarbeitergemeinden aus der Region zu vertreiben.

7. Gemäß der Verpflichtungen der internationalen Organisationen gegenüber den kolumbianischen Organisationen, die Rechte der Bevölkerung zu verteidigen, wird die internationale Begleitung im Sur de Bolívar als auch in den weiteren Regionen Kolumbiens durch das Europäische Red de Hermandadd y Soldiaridad con Colombia weitergehen.

Wir werden von nun an das Unternehmen Kedahda (Anglo Gold Ashanti) und den kolumbianischen Staat für mögliche weitere Aktionen verantwortlich machen, die gegen das Leben und die physische Integrität der im Süden des Bolívars tätigen internationalen Begleiter/innen gerichtet sind.

Vorgeschichte:

1. Am 23.09.06 filmten und fotografierten in Santa Rosa verdeckte Angehörige des Bataillons Nueva Granada der 5. Brigade der Streitkräfte Mitglieder des Red Europea de Hermandad y Solidaridad, die Vertreterin der Corporación Sembrar, den juristischen Berater der Federación Agrominera del Sur de Bolívar (Fedeagromisbol) und einige Aktivisten der Region, die sich anlässlich des Treffens der Gemeinden aufgrund der Ermordung von ALEJANDRO URIBE CHACON in der Stadt befanden. Als einer der Verantwortlichen für die diese Bildregistrierung als Militär erkannt wurde, verschwand er gemeinsam mit dem Bürodirektor des präsidialen Menschenrechtsprogramms Carlos Franco im Wagen mit der Nummer XVP 848. Diese Geschehnisse wurden dem regionalen Ombudsmann angezeigt, der sofort vom Kommandanten des Bataillons Nueva Granada die Identifizierung des Militärs sowie die Löschung der Bilder verlangte, welcher das verweigerte.

2. Am 14.12.06 wurde in einer regionalen Zeitung aus Bucaramanga namens „El Frente“
ein Artikel veröffentlicht, der den Titel trägt: „Perverse Kampagne von NGO´s, die den Terrorismus in der Region unterstützen und verteidigen, gegen das Militär im Sur de Bolivar“. Der selbe Artikel sprach davon, dass die Guerilla durch "NGO´s der Region" handeln würde, die Corporación Sembrar, die Federación Agrominera del Sur de Bolívar und das Red Europea de Hermandad y Solidaridad con Colombia. Des weiteren erklärte er, dass die Arbeit dieser Organisationen darauf abziele, „den Ruf des Artilleriebataillons Nueva Granada zu schädigen und damit den der 5.Brigade“.

3. Der Bericht enthielt des weiteren ein Interview mit José Cendales, einem Bürgermeisterkandidaten für Santa Rosa, der meinte, „zu diesen Demonstrationen sind die Leute allein nicht fähig. Sie finden statt, weil sie unter dem Einfluss gewisser Gruppen stehen", wobei er sich auf die Demonstrationen der Minen- und Landarbeiter des Sur de Bolivar im September 06 bezog.

4. Am 28.04.07 gegen 14.30 im Weiler San Luquitas der Gemeinde San Pedro Frío des Landkreises Santa Rosa wurden die zwei internationalen Begleiter und drei Aktivisten der Region vom Batallón Nueva Granada festgehalten und ihre Identität festgestellt.

5. Dasselbe passierte am 29.04.07, als drei Mitglieder des Red Europea de Hermandad y Solidaridad con Colombia vom Batallón Nueva Granada angehalten wurden und ihre Personalien aufgenommen wurden.

6. Der Capitán Cruz des Batallóns Nueva Granada diffamierte nach seiner Verhaftung den Präsidenten von Fedeagromisbol sowie seine Organisation: „Wir haben den schlimmsten Banditen des Sur de Bolivar gefasst, der der Acción Social $500.000 Pesos geraubt hat, um sie der Guerilla zu geben. Wir werden auch alle anderen verfolgen, die nach ihm kommen.“ Der selbe Capitán Cruz stellte auch wegen der Anwesenheit des Red Europea und anderer internationaler Begleitorganisationen in den Gemeinden beharrliche Nachforschungen nach deren Finanzierung, Herkunft, Funktion und Identität an.

Angesichts dieser Drohung und aufgrund der vorangegangenen Ereignisse fordern wir:

Von der kolumbianischen Regierung:

1. Die kolumbianische Regierung möge die notwendigen Maßnahmen ergreifen, damit die Arbeit internationaler Organisationen, welche die Gemeinden sowie die sozialen und Menschenrechtsorganisationen in Kolumbien begleiten, respektiert und garantiert wird.

2. Die kolumbianische Regierung allen voran der Vizepräsident der Republik möge die Begleitarbeit, die internationale Nichtregierungsorganisationen in Kolumbien ausführen, öffentlich anerkennen.

3. Die kolumbianische Regierung möge die unterzeichneten Abkommen mit den Gemeinden in vollem Umfang erfüllen und die Ausübung der Rechte der Mitglieder und SprecherInnen der Federacion Agrominera del Sur de Bolivar sowie der weiteren Organisationen, die ihr angehören, garantieren und dabei den notwendigen Schutz ihres Leben und ihrer körperlichen Unversehrtheit bieten.

4. Das ebenso die Arbeit, die kolumbianische Menschenrechts- und soziale Organisationen in der Region des Sur de Bolivar respektiert wird und demzufolge die öffentlichen Sicherheitsorgane ihre Anschuldigungen gegen diese Organisationen unterlassen.


Von den kolumbianischen Kontroll- und Justizorganen fordern wir:

5. Dass die Herkunft der E-Mail untersucht und die Verantwortlichen bestraft werden

6. Dass die Angehörigen des Bataillon Nueva Granada für ihr Vorgehen zur Rechenschaft gezogen werden, insbesondere für die haltlosen Anschuldigungen gegen die sozialen Organisationen des Sur de Bolivar, ihre Gemeindesprecher und für das irreguläre Vorgehen gegen die internationalen Organisationen, die in der Region begleiten.

7. Dass sämtliche Menschenrechtsverletzungen, die gegen die Gemeinden des Sur de Bolivar begangen wurden und die wiederholt durch die regionalen sozialen Organisationen sowie die begleitenden Organisationen angezeigt wurden, untersucht und geahndet werden.


Dies Erklärung wird von allen Organisationen des RED DE HERMANDAD Y SOLIDARIDAD getragen:

Organizaciones Internacionales:
  • KolumbienKampagne Berlín (Alemania)
  • Comité de solidaridad Carlos Fonseca (Italia)
  • Confederación Cobas (Italia)Cric (Italia)
  • Colombia Solidarity Campaign (Bretaña)
  • Espacio Bristol-Colombia, (Inglaterra)
  • Grupo de Apoyo (Suiza Alemana)
  • Colectivo Solidarité Colombia (Suiza Francesa)
  • Colectivo Ginebrinos de Solidaridad con los Pueblos Colombianos -Ginebra (Suiza)
  • Colectivo de Solidaridad Belgo-Andinoamericano- AYNI (Bélgica)
  • Tribunal Internacional de Opinión SB-París (Francia)
  • Colombia Solidarity Network (Irlanda)
  • Association France Amérique Latine AFAL- Comité Colombia-Lyon (Francia)
  • FRACTAL Colectivo Paris (Francia)
  • Proyecto de Acompañamiento y Solidaridad con Colombia -PASC (Canadá)
En el Estado Español:
  • Komite Internazionalistak (País Vasco)
  • Coliche (Logroño-La Rioja)
  • Coordinadora Aragonesa de Solidaridad con Colombia- CASCOL (Zaragoza)
  • Centro de Documentación y Solidaridad con América Latina y África-CEDSALA (Valencia)
  • SODEPAU (Valencia)
  • Asociación Paz con DignidadComité de Solidaridad con América Latina- COSAL - XIXÓN (Gijón-Asturias)
  • Asociación Internacionalista Paz y Solidaridad -AISPAZ (León)
  • Confederación General del Trabajo (CGT)
  • Colectivo de Colombianos Refugiados en España COLREFE
Organizaciones Colombianas:
  • Corporación Sembrar (Bogotá)
  • Federación Agrominera del Sur de Bolívar -Fedeagromisbol (Bolívar)
  • Comité de Integración Social del Catatumbo -CISCA (Catatumbo)
  • Corporación Social para el Asesoramiento y Capacitación Comunitaria COSPACC (Casanare, Boyacá, Bogotá)
  • Organizaciones Sociales de Arauca (Arauca)
  • Coordinador Nacional Agrario -CNA
  • Procesos de Comunidades Negras -PCN
  • Comité de Integración del Macizo Colombiano -CIMA (Cauca)
  • Fundación Comité de Solidaridad con los Presos Políticos -FCSPP (Bogotá, Barranquilla, Valle, Bucaramanga, Valledupar)
  • Sindicato Nacional de los trabajadores de la Industria Alimentaria -Sinaltrainal (Bogotá, Valle, Bucaramanga, Valledupar, Barranquilla, Barrancabermeja,)
  • Instituto Nacional Sindical -INS (Bogotá, Valle, Huila)
  • Corporación Jurídica libertad (medellín)
  • Colectivo de derechos Humanos Semillas de Libertad - CODHESEL

20 März 2007

Anmerkung zu Venezuela

Der erste Eindruck den man bekommt, wenn man von Kolumbien aus nach Venezuela einreist und in der erst größten Stadt (Maracaibo) eintrifft, ist eine völlig amerikanisierte Gesellschaft. Auf den breiten Straßen bestimmen große Amischlitten aus den 70er Jahren das Bild, die aufgrund der niedrigen Sprittpreise (1 Liter kostet umgerechnet 2 Eurocent) immernoch recht günstig zu unterhalten sind. An vielen Ecken sind Fast-Food-Ketten zu sehen, die alle gut besucht zu sein scheinen. Aufgrund der gegen die USA gerichteten Außenpolitik von Hugo Chávez könnte man sich Venezuela reichlich anders vorstellen.

Die Straßenzüge, Häusermauern und Werbeflächen sind geprägt von Chávez. Überall ist sein Konterfei, seine Faust oder seine Slogans abgebildet. Er ist so omnipräsent, dass man den Eindruck gewinnen könnte, als solle seine Politik hinter seiner Person zurückgehalten werden. Dies ist jedoch wahrlich nicht nötig!

Inzwischen sind an die 25 “Misiones” ins Leben gerufen worden, die fast sämtliche Politikfelder abdecken und aus dem Erdölgeschäft (am Staatshaushalt vorbei) finanziert werden. Manche weisen bereits erste Erfolge auf (so wurde Venezuela von der UNESCO als analphabetenfreies Land erklärt), andere brauchen noch Zeit oder müssen weiter verbessert werden bis sie richtig greifen. Es gibt eine Reihe von Bildungsmissionen, so u.a. die “Misión Sucre”, die Jedem, der dazu qualifiziert ist, einen Studienplatz und ein Stipendium gewährt. Ein anderes Feld ist die Gesundheit. Die vielleicht bekannteste Mission "Barrio Adentro” führt mit Hilfe kubanischer Ärzte bei Bewohnern der Armenvierteln kostenfrei Behandlungen durch. Andere Missionen sind u.a. “Misión Arbol” (Wiederaufforstung), “Misión Abuelo” (Rentensystem auch für die arme Bevölkerung), “Misión Guaicaipuro” (Landtitel für die Indigina-Bevölkerung) usw. usf. (siehe: "Bolivarianische Missionen" in Wikipedia).

All diese Missionen haben auf lange Sicht eine komplette Umstrukturierung der venezolanischen Gesellschaft zum Ziel – hin zu mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit.
In den meisten Medien verschwindet diese Innenpolitik oft hinter der von Chávez praktizierten außenpolitischen Polemik in Richtung Washington.


Durch engere Handelsbeziehungen mit der Volksrepublik China, dem Iran und vielen lateinamerikanischen Ländern versucht Chávez Venezuela aus der Abhängigkeit von den USA zu lösen und gleichzeitig ein breites Bündnis zu schmieden, dass nicht so einfach boykottiert werden kann, wie es bei Kuba nach dem Ende des Ost-West-Konflikts der Fall war.

Die Zurückweisung des von den USA geplanten gesamtamerikanischen Freihandelsabkommens, das vor allem die Existenz der Kleinbauern zerstört, die noch immer in großen Teilen Lateinamerikas die Landwirtschaft bestimmen und einen Großteil der Bevölkerung beschäftigen, ist genauso wie die Schaffung alternativer Medien (telesur) in den gegenwärtigen südamerikanischen politischen Kontext einzuordnen: Die neokoloniale Ausbeutung, die auf die koloniale Ausbeutung folgte, soll überwunden werden. Venezuela kämpft für die Widererlangung seiner Souveränität und Autonomie .

15 Januar 2007

Sierra Nevada de Santa Marta

Die letzten drei Wochen waren ebenso interessant wie die ersten drei Monate, aber sehr anders – etwas touristischer angehaucht. Ich habe an einer „Tour“ teilgenommen, bzw. sie mit organisiert, die den Austausch zwischen verschiedenen „comunidades en resistencia“ (Widerstandgemeinden) innerhalb Kolumbiens zum Ziel hatte. Diese politische Aktion zur Vernetzung und Koordinierung des Widerstands gegen die staatliche Oppression wurde von einem anonymen Schweizer finanziert. Fünf Schweizer und ich belgeiteten die sieben Kolumbianer aus dem departamento Cauca, sodass die „Tour“ nicht nur einen innerkolumbianischen Austauschprozess förderte, sondern auch eine internationale Komponente aufwies. Wir machten Station in Barrancabermeja, Sur de Bolívar und in der Sierra Nevada de Santa Marta, wobei die Sierra Nevada für mich den Höhepunkt darstellte, da sie im Gegensatz zu Barranca und dem Sur de Bolívar absolutes Neuland war.

Barrancabermeja

Eine 200 000 Einwohner zählenden Stadt am Ufer des wichtigsten Flusses Kolumbiens, des Rio Magdalena. Die Durchschnittstemperatur beträgt satte 28°C, sodass es tagsüber mit etwa 35-40°C meist brütend heiß und damit äußerst unangenehm ist. Wichtigster Wirtschaftsfaktor ist das Erdöl. Hier ist Kolumbiens größte Raffinerie angesiedelt und im Umland wird reichlich Öl gefördert, sodass „Barranca“ auch als „Erdölhauptstadt“ des Landes bezeichnet wird.

Wie in der gesamten Region des „Magdalena Medio“ erlebte hier der Terror 1998 seinen Höhepunkt. In diesem Jahr marschierten Paramilitärs in die Stadt ein und machten es sich in den Privathäusern gemütlich und befehligten deren Bewohner. Die Polizei unternahm natürlich nichts – warum auch, wenn es doch eine vom Staat geplante Strategie der „sozialen Säuberung“ war. Nur werden für solche unpopulären Maßnahmen die Paramilitärs und nicht das Militär selbst genutzt, damit der Staat nicht angeklagt werden kann, da es sich bei den „Paras“ ja um eine illegale Gruppe handele. Ein exemplarisches Verbrechen für diese Zeit ist das Massaker vom 7. Mai 1998. Sieben Menschen wurden im Fußballstadion erschossen und 16 weitere „wurden verschwunden“.

Wir trafen uns in Barranca mit Mitgliedern der OFP (Organización Feminina Popular), eine Organisation, die schon seit 35 Jahren für die Rechte der Frau eintritt und sich .u.a. dem Kampf gegen Ungerechtigkeit, Straflosigkeit und Armut widmet. Als soziale Organisation erlitt die OFP auch massive Repression. So wurde z.B. 2001 eins ihrer Häuser „geklaut“, das als „Armenküche“ diente. Die Paras kamen mit schwerem Bau-Gerät und transportierten das komplette Gebäude ab.

Auch die soziale und politische Gleichschaltung die durch die Paramilitärs in den Städten errichtet wurde kann man gut am Beispiel Barranca verdeutlichen. Um die Armenviertel besser kontrollieren zu können wurden in fast allen wichtigen Städten Kolumbiens „soziale Projekte“ geschaffen und gleichzeitig bereits existierende Einrichtungen sabotiert und verboten. In „Barranca“ eröffneten die Paramilitärs gegenüber der OFP-Einrichtungen, die billige Mittagessen für die bedürftige Bevölkerung ausgaben, Konkurrenz-Lokale mit noch billigeren Preisen. Doch da die OFP eine sehr starke Organisation mit internationalem Rückhalt ist, ist es den Paras in „Barranca“ nicht gelungen die sozialen Projekte komplett zu verdrängen. Die meisten Städte und Dörfer werden jedoch auf diese und andere Art und Weise beherrscht. So wird jede politische und soziale Basisorganisation im Keim erstickt. Jetzt wird auch deutlich, welchen Nutzen die militärisch erzwungenen Vertreibungen haben. Zum einen können die natürlichen Ressourcen auf dem Land ohne Widerstand abgebaut - und zum anderen kann die Bölkerung in den verelendeten Vorstädten leicht kontrolliert werden. Der interne Krieg ist also absolut notwendig, um das System der Macht- und Reichtumskonzentration aufrecht zu erhalten.

Sur de Bolívar

Ein drittes Mal führte mein Weg in die unwegsame Region im äußersten Süden des departamento Bolívar. Innerhalb dieser vier Monate die ich nun diese Gegend fast regelmäßig besuchte hat sich Vieles verändert, nur leider zum Schlechteren. Das Militär übt nun fast über das gesamte Gebiet ihre Kontrolle aus und hantiert mit allen Mitteln, um alternative Entwicklungsformen zu zerstören. Führungspersönlichkeiten werden bedroht oder gefangen genommen – natürlich ohne Rechtsgrundlage. Die Verhaftungen erfolgen meist auf Grundlage von bezahlten „Zeugen“ – also korrumpierten Leuten, die für viel Geld gegen ihre ehemaligen Nachbarn eine vom Militär diktierte Aussage machen.

Der Paramilitarismus in der Zone ist ebenfalls noch nicht beendet. Offiziell wurden die Paramilitärs zwar demobilisiert – da sie ihre Arbeit in großen Teilen des Landes erfolgreich beendet haben (ihr Landraub ist legalisiert und ihre Verbrechen stehen unter Amnestie), aber ab und an werden sie noch für besonders „dreckige“ Aufgaben benötigt. Dafür treten sie als „Aguilas Negras“ oder sonstige paramilitärische Gruppe mit neuem Namen auf, doch prinzipiell wurden sie ins Militär eingeliedert.

Unter dieser prekären militarisierten Situation leben die campesinos heute in ihren einfachen Dörfern. Jeden Moment müssen sie fürchten verschleppt, erschossen oder vertrieben zu werden. Viele denken darüber nach, die Region zu verlassen, doch die Alternativen sehen ebenfalls düster aus. Etwa 70% der campesinos sind Analphabeten, sodass für sie ein Leben in der Stadt fast zwangsläufig in einem Elendsviertel enden würde.

Selbst Weihnachten konnte keine wirkliche Freude aufkommen. Ich habe eigentlich Weihnachten 2006 nicht erlebt – mir macht das nichts aus, doch empfinde ich Trauer für die Menschen denen dieses Feste soviel bedeutet. Am 25. gab es ein gemeinschaftliches Essen am Fluss – das wars dann aber auch schon.

Doch unser Besuch und der Austausch zwischen den verschiedenen kolumbianischen Gemeinden hat auch Hoffnungen geweckt. Die nationale und internationale Begleitung gibt ihnen das Gefühl in ihrem Kampf für ein würdiges Leben nicht alleine zu sein.

Sierra Nevada de Santa Marta

Die Berge der Sierra Nevada de Santa Marta haben einen sehr eigenen Geist. Die Gipfel erheben sich quasi aus dem karibischen Meer bis zu einer Höhe von 5775m. Damit ist die „Sierra“ das höchste Küstengebirge und bietet ein einzigartig vielfältiges Ökosystem. Die vier indigenen Völker Wiwa, Kankuamo, Arhuaco und Kogis, die diese Region „seit die Erde geboren ist“ bewohnen, haben bis heute ihre traditionellen Lebensformen bewahren können, auch wenn einige christlich-westliche Einflüsse in ihre Kulturen eingedrungen sind.

Wir sind vom Arhuaco „César“ (sein spanischer Name) eingeladen worden. 2006 ist er für drei Monate durch Europa gereist und hat auf seiner Tour auch die Schweizer kennengelernt. Nun wollte er uns die Gelegenheit geben auch seine Kultur zu erleben.

Die Kultur der Arhuacos umfasst etwa 20 000 Personen, die nahezu alle ihre traditionelle Kleidung tragen und in einem Gebiet leben in dem es Personen anderer Kulturen nur mit Erlaubnis gestattet ist einzudringen. Die Männer kauen, wie alle Indiginavölker der Anden, Coca. Sie gibt ihnen Kraft und hilft den Kontakt zur Pachamama herzustellen. Sie leben im Einklang mit der Natur und lehnen jegliche „Entwicklung“ der westlichen Welt ab. So bevorzugen sie, dass ihre Dörfer nicht ans Elektrizitätsnetz angeschlossen werden und die Wege und Straßen unasphaltiert bleiben. Sie benötigen nichts von außen und versuchen auch das ihnen aufgezwängte fern zu halten, um jede Abhängigkeit vom Staat zu verhindern und ihre Autonomie zu bewahren.

Doch da die westliche Kultur versucht alle anderen Kulturen auszulöschen und dieser Kampf in Kolumbien mit Waffen und anderen repressiven Mitteln geführt wird, nutzen die Arhuacos gewisse technische Entwicklungen, um dem Gegner die Stirn bieten zu können. So sind Mobiltelefone und Jeeps in Gemeinschaftsbesitz Mittel, um schneller auf Angriffe reagieren zu können und durch Aufrufe nationalen und internationalen Beistand zu mobilisieren.

Das Dorf „Nabusimake“ – die Hauptstadt der Arhuacos – weist eine Architektur mit gewissen katholischen Stilmitteln auf, die verbunden mit den örtlichen Gegebenheiten und der traditionellen Bauweise eine interessante Mischung ergeben. Die Dächer sind mit Ried gedeckt, die Mauern sind aus Lehm- und der Sockel aus Natursteinen erbaut.

Da ich Silvester mit ihnen verbrachte musste ich leider miterleben, dass die christlich-westlichen Feiertage die traditionellen Festtage (Ernte, besondere Sonnenkonstellationen) der Arhuacos verdrängt haben. Es wurde viel Alkohol getrunken und zu einer ser simplen Akkordeonmusik getanzt, die nun wahrlich nichts mit den ursprünglichen Rythmen und Instrumenten zu tun hatte.

Aufgrund der Tatsache, dass die kolumbianische Verfassung von 1991 besondere Rechte für Indiginas vorsieht und internationale Aufmerksamkeit für Indiginas sehr viel leichter erregt werden kann als z.B. für „einfache campesinos“ aus dem Sur de Bolívar, ist die Repression in der Sierra nicht so massiv wie in anderen Gegenden. Doch auch das Gebiet des Indigina-Volkes Kankuamo in der Sierra Nevada de Santa Marta ist militarisiert und es besteht die Gefahr, dass diese Kultur in naher Zukunft verschwindet.

21 Dezember 2006

Arauca – zona roja

Das departamento Arauca liegt im geographischen Osten Kolumbiens. Das Terrain ist flach und war ursprünglich von dichtem Urwald bedeckt. Doch mit der Ankunft der Sieder in den 1950er Jahren musste die üppige Vegetation den Viehweiden weichen.

Geschichte

Die Besiedlung Araucas war bedingt durch die als „La Violencia“ bekannte Bürgergriegszeit von 1948-58, ausgelöst durch die Ermordung des volksnahen Präsidentschaftskandidaten Jorge Gaitán am 9. April 1948. Diese Phase der Gewalt forderte 200 000 Tote und eine unzählige Zahl von Vertreibungen. So gelangten auch Flüchtlinge nach Arauca, um in dieser von „Weißen“ bisher unbesiedelten Region ihr Glück zu versuchen. Sie wollten eine neue Gesellschaft aufbauen, die unter den Prinzipien „soziales Zusammenleben“ und „gegenseitiger Respekt“ stehen sollte. Die zehn Jahre anhaltende Gewalt in ganz Kolumbien ließ die Bevölkerung in Arauca schnell ansteigen, sodass eine soziale Organisation notwendig wurde. Die bäuerliche Bevölkerung (campesinos) gründete Kooperativen in den Bereichen Fischfang, Viehzucht, Wasserversorgung, Gesundheitswesen, Transport und Bildung. Sie organisierten die Verbesserung ihres Lebensstandard selbst, da der Staat kein Interesse an der Region zwigte und keinerlei öffentlichen Investitionen tätigte. Mit der Entdeckung von Rohöl wurde Arauca anfang der 80er Jahre auf einmal eines der wichtigsten Gebiete Kolumbiens. Die „Occidental Petroleum Company“ (Oxy) aus den USA beginnt mit der Erforschung des Territoriums und mit dem Eintreffen der Gringos wird die Zone militarisiert. Das Ölfeld „Caño Limón“, das durch die Oxy seit Mitte der 80er ausgebeutet wird, liegt unter dem Territorium des Indigina-Volkes „U’wa“. Dieses wurden nicht konsultiert, geschweige denn in die Verhandlungen über die Öl-Explotation mit einbezogen. Durch die mit der Ausbeutung einhergehenden Umweltzerstörungen wurde den U’wa jegliche Lebensgrundlage entzogen. Für sie ist es ein Kampf ums Überleben. Sie ziehen den kollektiven Selbstmord als ultimativen Ausweg vor – wie ihn tausende U’wa während der brutalen Unterdrückung durch die Spanier bereits vollzogen haben – falls ein würdiges Leben auf ihrem Territorium nicht mehr möglich ist.

Durch die Militarisierung (Paramilitärs und Armee) der Region wurde auch für die campesinos das (Natur)recht auf Leben in Frage gestellt. Außergerichtliche Erschießungen, Massaker und „Verschwinden lassen“ sind an der Tagesordnung. Offizielle Rechtfertigung ist die Guerilla-Kollaboration. Doch die soziale Organisation, die laut der Militärs auf „Guerrilla-Gedankengut“ zurückzuführen ist, lässt sich nicht unterdrücken. Die campesinos streben weiterhin eine Entwicklung an, die auf die Notwenigkeit der Gemeinschaft ausgerichtet ist und damit konträr zum Konsum-Kapitalismus steht, indem die „Notwendigkeit“ erst durch Produktion geschaffen wird.

In den Jahren 1998 bis 2006 erreicht die staatliche Gewalt imense Ausmaße. Zudem herrscht seit März 2006 ein Konflikt zwischen zwei bewaffneten Oppositionsgruppen, der ebenfalls zahlreiche zivile Opfer fordert.

Öl, Militarisierung und Menschenrechtsverbrechen

Die Militarisierung, die mit der Erdölförderung begann, durchdringt das alltägliche Leben der Araucanos. Auf dem Weg zwischen den beiden wichtigsten Städten (Arauca, Saravena) muss man etwa sieben Militärsperren passieren in denen man nach Waffen und Drogen durchsucht wird, an denen die Ausweise eingelesen werden und man nach den Motiven seiner „Reise“ befragt wird. Das Zentrum der Stadt Saravena ist von Polizeiposten abgesperrt, sodass das Viertel einer Geisterstadt gleicht. In den Straßen patroullieren Soldaten wie Polizisten – in jüngster Vergangenheit auch US-Soldaten. Nach inoffiziellen Angaben halten sich in der nahe gelegenen Militärbasis etwa 600 US-Amerikaner auf, die das kolumbianische Militär dabei unterstützen die Sicherheit der Oxy sicherzustellen – durch unzählige Guerilla-Anschläge auf Ölpipelines wird die Ölproduktion häufig unterbrochen.

Das Öl, dass in Arauca gefördert wird, kommt der Region selbst in keiner Weise zu gute. Öffentliche Investitionen sind nicht zu bemerkten, die Straßen bsw. befinden sich in desaströsem Zustand. Die Gewinne werden zu großen Teilen in die USA geleitet oder versacken in der kolumbianischen Korruption. Die Menschen ernten nur Gewalt und Repression mit der sie von ihrem Land vertrieben und in ihrer freien Lebensgestaltung eingeschränkt werden.

Die Menschrechtsverbrechen die durch die offiziellen und inoffiziellen staatlichen Streitkräfte begangen werden füllen ganze Bücher. Exemplarisch für das Vorgehen der Paramilitärs und der Nationalen Armee in der Region werde ich demnächst anhand des Massakers vom 19. und 20. Mai 2004 in Tame (Arauca) berichten, bei dem 13 Zivilisten im Zuge der „Operation Borrasca I“ durch das Militär im Verbund mit den Paramilitärs ermordet wurden.

Aktuelle Situation

Ich verweilte etwa zwei Wochen in Arauca, um den Menschen vor Ort eine gewisse internationale Aufmerksamkeit und damit Schutz zu gewähren. Zur Zeit befinden sich etwa 60 Flüchtlinge in einem Haus in der Stadt, das sie schon seit acht Monaten nicht verlassen können. Sie wurden durch den Konflikt und durch direkte Morddrohungen gezwungen ihre Farmen zu verlassen. Unter den Flüchtlingen sind einige verwundet: Unter anderem ein dreizehn jähriges Mädchen mit einem Beckendurchschuss, ein 40 Jähriger den 2003 eine Autobombe erwischt hat und dessen ganzer Körper von Narben übersäht ist und natürlich die unzähligen Opfer, die durch den Krieg traumatisiert sind, was man in jedem Gespräch mit ihnen erfahren muss.

Allein in der Zeit, in der ich in der Region verweilte sind vier Zivilisten in unmittelbarer Nähe ihrer Farmen ermordet worden. Ich nahm an der Beerdigung eines 23. Jährigen teil, der zunächst gefoltert und dann mit vier Schüssen ins Gesicht erschossen wurde. Viele Angehörige sind während der Zeremonie unter Tränen und Schreien zusammengebrochen.

Doch trotz all dieser Kriegsleiden halten die Menschen an ihrer Überzeugung fest und lassen sich nicht ihre Meinungsfreiheit und die Errungenschaften ihrer sozialen Organisation rauben. Sie halten weiter zusammen und denunzieren jedes Verbrechen an der Menschlichkeit – egal ob es von staatlicher oder von nicht-staatlicher Seite begangen wird

Arauca spiegelt auf schrecklich eindrucksvolle Weise den brutalen Krieg um natürliche Ressourcen wieder, der auf der ganzen Welt geführt wird – in einigen Regionen durch physische- in anderen durch strukturelle Gewalt. Der globale Bürgerkrieg hat längst begonnen...

30 November 2006

Bogotás Barrios

Neben der Begleitarbeit in den verschiedenen, meist ländlichen, Regionen arbeite ich während meiner Zeit in Bogotá in verschiedenen Barrios zusammen mit Studenten der Universidad Nacional. In den letzen Tagen habe ich drei verschiedene Barrios kennengelernt die sowohl viele Singularitäten als auch Kommunalitäten aufweisen.

Weltweit werden einer immer größer werdenden Zahl von Menschen Einkommen, Nahrung, Wohnung, Bildung und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Die Armen sind Opfer unserer Weltordnung im allgemeinen und der kolumbianischen Politik im speziellen.

Oft werden die Armen als gefährlich, als dumm, als unproduktive Schmarotzer und als unorganisiert dargestellt; und zudem sind sie selbst Schuld an all diesem. Doch muss man erkennen, dass sie sehr schöpferisch, kreativ, lebensfroh und reich an Wissen sind was uns Reichen unbekannt ist. Sie sind ein Bestandteil unserer Gesellschaft von dem wir viel lernen können, was aber absolut nicht heißt, dass es erstrebenswert wäre sie von den oben genannten Gütern weiterhin auszuschließen.

Mit einer Gruppe von etwa 15 Studenten verschiedener Fachrichtungen (Politikwissenschaften, Jura, Pädagogik, Philologie, ...) habe ich mit Kindern eines Barrios gearbeitet, indem die Behausungen, äußerlich betrachtet, „ganz ok“ waren; doch die Problematik eröffnet sich mit jedem Schritt den man tiefer ins Barrio eindringt und mit jedem Gespräch das man mit den dort lebenden Menschen führt. Die „Straßen“ erinnern an schlammgefüllte amsterdammer Grachten welche Insekten als ideale Brutstätte dienen und damit Krankheiten verbreiten. Die Arbeiten der Menschen drehen sich um das was wir wegschmeißen: Sie verdienen ihren Lebensunterhalt mit unserem Müll. Glas, Pappe, Plastikflaschen, Dosen, Holz, Stoffe, Elektroteile, organische Abfälle, Metalle uvm. Alles wird gesammelt, transportiert, sortiert und verkauft. Der Transport von den reicheren Gegenden in die ärmeren geschieht durch Karren die per Hand geschoben oder von Pferden gezogen werden.

Durch die spielerische Arbeit mit den Kindern kreieren die Studenten in den ihnen Werte weg vom egoistischem Denken hin zu einem solidarischeren Miteinande. Gleichzeitig lernen sie von den Kindern. Die Studenten begleiten dieses Barrio erst seit zwei Jahren, der Prozess der gegenseitigen Formung hat also gerade erst begonnen. Doch schon sind die ersten Ansätze der Früchte zu erkennen die dieser Prozess (sofern er nicht gestört wird) hervorbringen wird. Ein kulturelles Kennenlernen. Es ist leider sehr wahrscheinlich, dass solche Prozesse, sobald sie eine größere Energie und damit eine größe Macht entwickeln, von Außen versucht werden zu zerstören. Die Paramilitärs kontrollieren die meisten Barrios durch Waffengewalt und lassen nicht zu, dass sich alternative Organisationsstrukturen bilden. Die Gewalt richtet sich in noch massiverem Maße gegen die ärmsten der Armen: Häufig werden Obdachlose durch „soziale Säuberungen“ entfernt, sodass ihre Überlebenskreativität der Menschheit verloren geht.

Einen zweiten Tag bin ich mit einem Jura-Absolventen in ein anderes Barrio gefahren, indem wir die Wohnungslage, die Ernährung und die Geschichten der Menschen erforscht haben. Hier gleichen die „Häuser“ Flickenteppichen aus Holz, Blech, Plastik, Teppich, Ziegeln und anderen Dingen die man als Schutz vor Regen und Wind verwenden kann. Verhältnismäßig zu ihrem Körper haben die dortigen Kinder fast alle zu große Köpfe und sind für ihr alter viel zu klein – Indizien für jahrelange Unterernährung. Manche Tage überdauern sie nur mit Zuckerwasser, an anderen Tagen essen sie wenigstens zu Mittag und ab und an gibt es auch zwei Essen täglich. Einst lebten sie glücklich auf dem Land, als auch ihr Vater noch bei ihnen war. Sie waren nicht reich, aber sie hatten ihr Haus, ihre Tiere, ihr Gemüse und konnten sich so autonom ernähren. Doch eines Tages kam eine bewaffnete Gruppe (wahrscheinlich Paracos) und verschleppte (und tötete?) den Vater. Es folgte eine Flucht-Odyssey der Mutter mit ihren vier Kindern in die Stadt zu Bekannten, von dort in ein Barrio und nach abermaliger Vertreibung kamen sie auf diesen relativ leeren Hügel am Rande Bogotás. Gegenüber die ständige Bedrohung eines Steinbruchs. Delegierte des Steinbruchunternehmens kündigten schon mehrfach an, dass der Hügel geräumt werden wird, damit auch hier Profit gemacht werden könne – auf Kosten anderer.

Und so wird diese Familie mit vielen Leidensgenossen erneut vertrieben. Selbst ein würdiges Leben in Armut wird nicht zugelassen. Diese Familie gehört zu den mehr als 3,8 Millionen Binnenflüchtlingen Kolumbiens (nach dem Sudan die höchste Ziffer weltweit). Zusätzlich suchen etwa drei Millionen Flüchtlinge Zuflucht im Ausland. Damit sind gut 16% aller Kolumbianer Heimatlose und damit Opfer von einer vom Staat intendierten Vertreibungspolitik, welche die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen durch große Konzerne vorantreiben soll. Die EU fördert diesen Prozess mit „Entwicklungsprogrammen“ und wir profitieren davon – doch nur kurzfristig.

29 November 2006

La Red - Das Netzwerk

Im Folgenden stelle ich kurz meine Arbeit in Kolumbien im Allgemeinen vor.

La Red Europea de Hermandad y Solidaridad con Colombia (Das europäische Netzwerk der Brüderlichkeit und Solidarität mit Kolumbien)


Die ersten Anfänge des "Red" enstanden im Jahr 1994. Es fand ein Prozess der Annäherung und des Austausches zwischen sozialen Organisationen aus Kolumbien und Europa statt, mit dem Ziel, eine soziale Bewegung zu schaffen, die sich u.a. für folgende Leitlinien einsetzt:
  • Ständiger Kampf für die Überwindung der Straflosigkeit in Kolumbien.
  • Verteidigung und Förderung der Menschenrechte durch internationale Begleitarbeit.
  • Stärkung sozialer Prozesse, die einen Wandel der Gesellschaft anstreben.
  • Weltweite Denunzierung von Menschenrechtsverbrechen in Kolumbien.
  • Alternative Nachrichtenverbreitung auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene u.a. über die soziale, politische und ökonomische Krise und die sozialen Widerstandsprozesse in Kolumbien.

Europäische Basisorganisationen aus folgenden Ländern sind Bestandteil des “Red”: Spanien, Italien, Irland, England, Deutschland, Frankreich, Schweiz, Griechenland und Belgien.


Die Aufgabe der Internationalen besteht primär in der Begleitarbeit. So begleitete ich z.B. einen Monat die Menschen eines kleinen sehr abgelegenen Dorfes, dass sich hauptsächlich durch Landwirtschaft ernährt und unter massiver Militarisierung leidet (siehe: Blog Sur de Bolívar). Wir begleiten aber nicht nur Gemeinden, sondern auch Einzelpersonen, die aufgrund von Morddrohungen besonders gefährdet sind.

Die Idee die hinter der internationalen Begleitarbeit steht ist grob folgende: Die staatlichen Akteure, von denen im allgemeinen die Bedrohung ausgeht, schrecken vor Menschrechtsverbrechen eher unter internationaler Beobachtung zurück, da der Staat mit allen Mitteln versucht nach Außen ein Bild der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufrecht zu erhalten.

Auch die eigene Bevölkerung soll über die Realität die Kolumbien lebt im Unklaren gelassen werden. Kolumbien ist weiterhin ein Land der medialen Gleichschaltung. Es wird nicht berichtet, dass täglich 8 Menschen an den sozialen Folgen des bewaffneten Konflikts sterben; dass der Konflikt jährlich die gleiche Anzahl an Opfern hinterlässt wie in 17 Jahren der Pinochet Diktatur in Chile; dass 60% der Menschenrechtsverbrechen direkt oder indirekt durch den Staat verübt werden; dass 10% der Kolumbianer aus ihrer Heimat vertrieben sind; dass im Jahr 2002 unter der Regierung Uribe die Massenverhaftungen um 240% gestiegen sind; dass 92% der Einnahmen aus dem Cocain-Geschäft den USA zugute kommen; dass 55% der Kolumbianer in absoluter Armut leben…

22 November 2006

Serranía de San Lucas – Die Goldminenregion

Die Serranía de San Lucas ist ein Ausläufer der sich in Kolumbien teilenden Anden. Das Symbol der mit Regenwald bedeckten Bergregion ist die mit 2300m höchste Erhebung – "La Teta". Zugang zu diesem goldreichen Gebiet besteht fast ausschließlich über Santa Rosa del Sur, ein Dorf, das wohl hauptsächlich vom Gold lebt das dort getauscht wird. Von Santa Rosa führt eine unbefestigte Straße zwei bis vier Stunden (regenabhängig) bis zu einem Örtchen Namens "La Punta" von wo die Waren per Maultier und die Menschen meist zu Fuß (zwischen vier und sieben Stunden) zu den Goldminen und den vielen verstreuten Häuseransammlungen vordringen.
Bis dato liegt die Ausbeutung der Goldminen ausschließlich in der Hand von "kleinen" mineros (Minenarbeitern), d.h. dass die mineros das Gold was sie erarbeiten auch behalten und davon leben. Doch das multinationale Unternehmen "Anglo Gold Ashanti" (Südafrika, Großbritannien, Kanada) mit der Filiale "Kedahda" hat sich bereits große Teile der Region vom kolumbianischen Staat quasi schenken lassen, um Gold und andere Metalle (Silber, Kupfer, Uran etc.) im großen Stil abzubauen. Der Start ist für 2007 geplant. Um das Gebiet von der störenden Bevölkerung, die wohl die 10 000er Marke übersteigt, zu reinigen wurde schon im Jahr 2001 mit der Militarisierung der Region durch paramilitärische und militärische Einheiten begonnen. Der letzte Mord an einem minero-Führer liegt nur zwei Monate zurück: Am 19. September 2006 wurde Alejandro Uribe, gewählter Präsident einer etwa 300 Menschen umfassenden minero-Gemeinde, vom Militär gefoltert, ermordet und dann als Guerrillero präsentiert. Dieser Mord hat zu einer sechs Wochen anhaltenden Mobilisierung von etwa 1000 mineros in Santa Rosa geführt. Erst ein Einlenken der Regierung und das Versprechen u.a. in Zukunft die Menschenrechte und die Genfer Konventionen einzuhalten und den Mord Alejandros juristisch zu verfolgen konnte die Mobilisierung beenden. Doch die Hoffnung, dass diese Versprechen auch eingehalten werden ist erfahrungsgemäß nicht sehr groß. Zur Erinnerung: In Kolumbien werden 98% der Menschenrechtsverbrechen juristisch nicht verurteilt. Auch wenn die mineros größtenteils legale Konzessionen ihrer Minen besitzen sind sie sich der Gefahr bewusst die von derartigen Großkonzernen ausgeht - unterstützt von Regierung, Militär und Paramilitär - und kämpfen weiterhin für den Erhalt ihrer Arbeit und ihres Lebensraumes. Dieser Kampf muss national und international begleitet werden, um erfolgreich zu sein.
Schürft die Kedahda erst einmal in der Serranía, so wird die Goldausbeutung wohl kaum vor Besitztiteln von kleinen mineros halt machen. Der groß angelegte Goldabbau wird nicht nur im direkten Minengebiet menschliche Tragödien und immense Umweltzerstörungen zur Folge haben, sondern dessen Auswirkungen wird die gesamte Region – vielleicht sogar das ganze Land – spüren. Aus der Serranía de San Lucas stammen schon jetzt 42% des kolumbianischen Goldes. Würden die 10 000 mineros durch einen Großkonzern ersetzt, der sämtliche Gewinne am kolumbianischen Volk vorbei ins Ausland schafft, so würden die mineros ihre Existenz und weit mehr ihre Einkommensgrundlage verlieren.

Ich habe zunächst die Mobilisierung in Santa Rosa begleitet und den Menschen vor Ort versucht internationale Unterstützung zu vermittelt und die Motivation hoch zu halten. Denn eine Demonstration von sechs Wochen ist zermürbend und kostet Kraft und Geld.
Nach dem Abkommen des 30. Oktober 2006 mit verschiedenen Ministerien der nationalen Regierung sind die mineros heim gekehrt und gehen wider ihrer Arbeit nach. Eine Woche habe ich dabei eine Familie begleitet und so die Lebensumstände und die Goldabbauprozesse kennengelernt.
Mit Hammer und Meißel werden entlang der goldhaltigen Gesteinsadern Tunnel angelegt. Das Gestein wird zu Sand zermalen und mit Quecksilber vom gröberen Gold getrennt. Später wird das feinere Gold mittels des hochgiftigen Cyanids aus dem Sand herausgelöst. Der Cyanidprozess verpestet schon jetzt in großem Ausmaß die Flüsse. Doch wird erst einmal Gold im großen Stil in einer Tagebaumine gefördert, so wird dies irreparable Schäden für Mensch und Natur zur Folge haben.

Aufgrund des Goldreichtums der Region geht es den Menschen im Verhältnis zu den campesinos weiter im Süden recht gut. Aber da es auch hier an jeglicher staatlicher Investition (Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Kommunikation, etc.) mangelt, müssen sie alles selbst leisten. Zudem sind die Preise für Nahrungsmittel, aufgrund der hohen Transportkosten, wegen fehlender Straßen, extrem hoch. Die Minenregion ist die teuerste Ecke Kolumbiens.

Die Abgeschiedenheit hat auch auf die Demokratie erhebliche Auswirkungen: Bis ins Jahr 2000 wurde das Gebiet von den verschiedenen Guerilla-Gruppen (ELN, FARC, ERP) beherrscht. Hauptsächlich die FARC hat Wahlen mit der Begründung nicht zugelassen, dass nur Parteien zur Wahl stünden, die den Status-quo zu verteidigen gedächten. Aber auch von den Regierung wurden Wahlen in der Serranía mit der Begründung der Guerilla-Präsenz nicht zugelassen. Seit 2001 sind die staatlichen Truppen in das Gebiet vorgerückt und kontrollieren es (nach eigenen Angaben) auch. Dennoch können Wahlen angeblich nicht gesichert werden, weshalb die nächste Urne bis zu sieben Stunden Fußmarsch und drei Stunden Autofahrt entfernt „bereit steht“. Will jemand trotz dieses Zeitaufwands gerne wählen gehen, so würde ihn dies etwa einen Wochenlohn kosten. Nach fünf Jahren Militärpräsenz wurde am vergangenen Sonntag (19. November 2006) erneut eine Wahl aus „Sicherheitsgründen“ einen Tag vor dem Wahltag nicht gestattet. Betrachtet man die Wählerschaft der Minenregion genauer, so wird schnell klar, weshalb die Regierung mit aller Macht die Wahlbeteiligung unterbindet: Die mineros sind einigermaßen organisiert und wissen durch wen ihre Lebensgrundlage bedroht wird. Sie würden wahrscheinlich fast einheitlich die seit 2006 bestehende Wahlalternative „Polo Democativo Alternativo“ wählen. Nach meinen bisherigen Erfahrungen und Beobachtungen herrscht in ländlichen Gebieten fast landesweit eine Wahlabstinenz, die durch folgende Faktoren zustande kommt: fehlende Wahlurnen, fehlendes politisches Interesse nach 40 Jahren Krieg, Bestechung und Einschüchterung. 17% der Kolumbianer haben für Alvaro Uribe gestimmt und damit hat er 62% der abgegebenen Stimmen gewonnen. Es lebe die kolumbianische Demokratie!

19 Oktober 2006

Sur de Bolívar – einmonatige Begleitarbeit

Neun Stunden Bus von Bogotá Richtung Norden nach Barrancabermeja; eineinhalb Stunden Schnellboot auf dem Rio Magdalena nach San Pablo; drei Stunden Jeep auf unbefestigten Straßen nach Vallecito und dann noch fünf Stunden Fußmarsch auf schlammigen Maultier-Pfaden durch den Urwald – und schon war ich in „El Jardin“. Einen Monat verbrachte ich im äußersten Süden der kolumbianischen Provinz „Bolivar“.
Ich war mit einem Italiener und einer Kolumbianerin unterwegs. In San Pablo wurden wir vom „Präsidenten der Gemeinde“ sehr herzlich in Empfang genommen. Ja eigentlich jede Person die wir getroffen haben, sei es auf der Ladefläche des Toyota, auf den Wegen durch den Regenwald oder in den Dörfern – alle waren überaus freundlich, fürsorglich und – zwar etwas schüchtern und respektvoll – interessiert.
In den vier Wochen meines Aufenthalts pendelte ich zwischen “El Jardin” und der “Granja” (Bauernhof), die etwa eineinhalb Stunden auseinander liegen. Die Granja ist ein politisches Projekt mit finanzieller Unterstützung aus Europa (Baskische Regierung, Paz con Dignidad, EU). Sie soll den Menschen der Region zu einer autarken Ernährung verhelfen und ein zusätzlich Einkommen generieren, um einen Ausweg aus der Coca-Problematik zu schaffen.

El Jardin (Der Garten) ist ein Dorf mit zwölf Hütten und zur Zeit rund 120 Einwohnern, wobei etwa die Hälfte politische Flüchtlinge aus der Region sind. Eigentlich leben sie sehr verteilt, sodass der nächste Nachbar manchmal ein, zwei Stunden entfernt ist. Da es keine Fernkommunikation gibt stellt diese Wohnsituation eine äußerste Gefahrenlage dar, weshalb sich die Menschen seit geraumer Zeit im Dorf zusammengefunden haben, um vereint besser der militärischen Repression entgegen treten zu können. Eine weitere Reaktion auf die Militarisierung der Region ist die politische, soziale und ökonomische Organisation. Diese besteht zum Beispiel in Form von Solidarisierung: Jeder für sich ist den staatlichen bewaffneten Akteuren schutzlos ausgeliefert, eine große Gruppe hingegen lässt sich nicht so schnell einschüchtern und schafft somit Respekt. Zu meiner Ankunft befanden sich zwei militärische Einheiten jeweils etwa drei Stunden (Fußmarsch) vom Dorf entfernt. Sie kontrollierten damit zwei von drei Zugängen.

Nach etwa einer Woche in der Region bin ich mit einer Gruppe von fünf campesinos zur gerade unbwohnten Finca eines Vertriebenen geritten. Auf dessen Grundstück hatte vor zwei Wochen eine Militär-Einheit ihr Lager aufgeschlagen und ihn massiv psychologisch terrorisiert: Sie machten Fotos von ihm, seiner Frau, seinem Kind und sogar vom Hund, nahmen Fingerabdrücke und notierten ID-Nummern und Namen. Zudem töteten sie Hühner und eine Kuh. Mal präsentierten sie sich als AUC, mal als Militär. Dieses Verhalten lässt im regionalen Kontext nur eine Schlussfolgerung zu: Die Absicht des Militärs, und damit der Regierung, die Bevölkerung von dem Land zu vertreiben welches diese rechtmäßig besitzt und seit Jahren bearbeiten. Temporär hat diese Taktik im geschilderten Fall ihr Ziel erreicht, aber die Menschen geben die Hoffnung auf ein Leben in Frieden und AUC-Markierungauf ihrem Territorium nicht auf und kehren immer wieder zurück. Als wir nach drei Stunden seine Finca erreichten war das Militär abgezogen. Ob in die nahen Berge oder per Helikopter an einen entfernteren Ort konnte nicht festgestellt werden. Überall waren die Spuren von Armee-Futter und -Camps zu sehen. Als Drohung hinterließen sie “AUC”-Markierungen an den Bäumen.

Wir versorgten die Tiere (Hühner, Truthähne, Schweine, Kühe) und sind nach drei Tagen wieder ins Dorf zurückgekehrt. Die campesinos hatten ausdrücklich erwünscht, dass ich sie auf dieser “Tour” begleite, da nicht gesichert war, ob das Militär/AUC noch anwesend wäre. Ich sollte also in gewissem Maßen als menschliches Schutzschild dienen – allerdings präventiv und nicht als Kugelfänger. Meine Begleitung bewirkte bei den campesinos eine Angstminderung. Dies wurde immer wieder an Kleinigkeiten deutlich: Zum Beispiel wollten einige nicht an den Fluß angeln gehen, wenn ich nicht mitkäme; oder allein etwas entfernt Yuca und Platano ernten… Die Freiheit der Menschen ist durch die Repression stark eingeschränkt, auch wenn das Militär nicht unmittelbar anwesend ist – die Angst ist allgegenwärtig.

Wie schon teilweise in “Sur de Bolivar – die aktuelle Situation” geschildert, war die Repression bis zum Jahre 2004 viel direkter als in dem oben geschilderten Fall: Das Dorf El Jardin wurde zum Beispiel am 28. Mai 2004 zuletzt komplett niedergebrannt. Die AUC konnten aufgrund ihrer Illegalität nicht zur Rechenschaft gezogen werden; hingegen ist das Militär ein staatlicher Repräsentant, sodass die Regierung Klagen und Demonstrationen gegen Militäraktionen nicht einfach abtun kann. Meist verhallen die Töne des Protests jedoch wirkungslos: 98% aller Menschenrechtsverbrechen in Kolumbien ziehen keine Verurteilung nach sich – es ist gar eine Seltenheit, wenn es ein politischer Mord bis vors Gericht schafft. Insofern muss das Militär die nationale Justiz nicht fürchten. Anders verhält es sich jedoch mit der internationalen öffentlichen Meinung. Hier ist der kolumbianische Staat sehr viel anfälliger.

Mein zweiter Kontakt mit dem Militär war von direkter Natur. Eines Tages kamen sehr aufgeregt drei Frauen auf ihren Maultieren angeritten und berichteten, dass sich das Militär zwischen El Jardin und der Granja niedergelassen habe. Es war eine Atmosphäre von Anspannung und Angst bis hin zur Panik zu verpüren. Da es schon spät war wurde beschlossen, dass ich am nächsten Morgen in den Jardin gehen solle, um mich so zwangsläufig mit dem Militär zu treffen. Auf dem Weg kamen wir an einem Schuppen vorbei, indem Cocablätter zu “Pasta”, eine Vorstufe des Cocains, verarbeitet werden. Kurz zuvor waren Soldaten hier gewesen und hatten die Personalien (Fingerabdrücke, Name etc.) des Besitzers notiert und von ihm ein Foto vor dem “Labor” mit einer Waffe zu seinen Füßen und einem Soldaten an seiner Seite genommen. Es fand also eine Foto-Inszinierung statt, die später als Rechtfertigungsgrund für die Militarisierung der Zone tauglich sein könnte; als wolle er sich mit Waffengewalt wehren. Dabei ist die Unterhaltung eines Cocain-Labors auch schon ein Delikt der mit 15-20 Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Zudem drohten sie ihm, den ganzen Schuppen anzuzünden. Nachher wurde ihm jedoch versichert, dass er beruhigt weiter arbeiten könne… Wieder absolut inkonkludentes Handeln wie es von einem staatlichem Repräsentant nicht zu erwarten wäre und damit Psychoterror. Am Morgen ließen sie zudem einen Dorfbewohner nicht des Weges passieren und wurden handgreiflich.
Kurz später traf ich selbst auf die etwa 120 Soldaten der “Brigada Movil 15” des “Batallon Contraguerilla 98” die ihre Waffen putzten und versuchten die Passierenden auszufragen. Von mir verlangten sie Pass und Visa und befragten mich nach meiner “Mission” in der Region und nach möglichen internationalen Kollegen. Nun spürte auch ich eine Anspannung.
Einen Tag darauf marschierten sie ins Dorf ein. Ein Teil schlug die Zelte direkt neben den Häusern auf. Für mich war diese Situation im Gegensatz zu den Gefühlen der Dorfbewohnern jedoch nicht sehr beängstigend oder bedrohlich. Bis ich die Region verließ hielt die Angst unter der Bevölkerung an und wurde ständig durch Meldungen über Kämpfe und Helikopter-Überflüge aufgefrischt. Doch seit das Militär wusste, dass ich mich in der Region befand gab es keinen einzigen repressiven Übergriff mehr. Ihr Verhalten veränderte sich mit meinem Auftreten auffällig.
Nach einer Nacht zog das Militär weiter. Am folgenden Tag hörten wir Explosionen und erfuhren bald, dass die Guerilla ELN der Armee einen Hinterhalt mit vier Bomben gelegt hatte. Über Tote und Verletzte wurde nichts bekannt, aber es gab sie mit Sicherheit. Es ist ein komisches Gefühl zu wissen, dass einige der Soldaten, die zuvor noch im Dorf waren, im Laden Süßkram kauften und sich mit uns unterhielten einen Tag später tot sind. Durch die in meiner Erinnerung bleibenden Gesichter der Soldaten ist für mich die Anonymität der Toten des Krieges verflogen.

15 Oktober 2006

Sur de Bolívar – die aktuelle Situation

Der "Sur de Bolivar" ist der südliche Teil der Provinz Bolivar und befindet sich im „mittleren Norden“ (7°N 74°W) Kolumbiens. Es ist eine leicht bergige Region zwischen 1000 und 2000 Metern Höhe mit dichtem Regenwald und feucht warmen Klima. Das Gebiet ist infrakstrukturell nicht erschlossen und wird nur von einem spärlichen Maultierpfadnetz durchzogen.
Bis 1998 wurde das der Sur de Bolivar vollständig von der Guerilla (ELN und FARC-EP) kontrolliert. Dann starteten paramilitärische Einheiten eine Offensive in die Region. Sämtliche Dörfer und Häuser wurden in den folgenden sechs Jahren zwei bis drei Mal niedergebrannt. Zuletzt im Mai/Juni 2004.
Mit Terror, Mord und Zerstörung versuchten die Paramilitärs, die Bevölkerung aus der ressourcenreichen Zone zu vertreiben. Der Sur de Bolivar bietet Gold, Wasser, Tropenholz und landwirtschaftliche Flächen für Monokulturen der Agrarexportwirtschaft. Der kolumbianische Staat versucht unter starkem Einfluss der USA und der EU, diese Region für multinationale Firmen interessant zu machen.
Seit 2004 verfolgt die Regierung Uribe auf Druck Washingtons eine „Demobilisierungskampagne“ der Paramilitärs, da diese auf einer US-Liste von „Terrorvereinigungen“ stehen. Die offizielle Demoblisierung, ist jedoch real als Umstrukturierung zu verstehen. Viele Ehemalige der Todesschwadronen haben heute ihren Platz in privaten Sicherheitsfirmen oder dem Militär gefunden – oder sie agieren weiter in der Illegalität, nur unter anderen Namen wie „Aguilas Negras“ (Schwarze Adler).
Da in Kolumbien offiziell keine Paramilitärs existieren übernimmt das Militär heute die Aufgaben, die zuvor von den Paramilitärs durchgeführt wurden. Allerdings ist das Militär von Paramilitärs durchsetzt, sodass der Unterschied zwischen den legalen und den illegalen staatlichen Kampfeinheiten zunehmend verschwindet.

Ist das Militär unbeobachtet, was in Regionen wie dem Sur de Bolivar die Regel ist, so wendet es oft Mittel der Repression an, die denen der Paramilitärs verwandt sind. Unter (internationaler) Beobachtung muss sich dieses Staatsorgan jedoch allen Gesetzen des nationalen Rechts und der Genfer Konventionen unterwerfen, um nicht für etwaige Verstöße zur Verantwortung gezogen zu werden. Damit würde ungewollte Aufmerksamkeit auf die Menschenrechtsverbrechen der Armee gelenkt werden, was nicht im Interesse eines Staates ist, der auf die Gelder von Außen angewiesen ist. Dies ist der größte Unterschied zwischen den legalen und illegalen Gruppen und genau diesen machen wir uns mit unserer Begleitarbeit zu nutze.
Die Bevölkerung reagiert auf die Repression – von wem auch immer sie ausgeht – primär mit Flucht. Doch mit einem gewissen zeitlichen Abstand kehren die meisten in ihre Dörfer zurück und bauen ihre Häuser erneut auf. In dieser Phase des Wiederaufbaus gewinnt die politische, soziale und ökonomische Organisation an Bedeutung. Basisorganisation ist nötig, um sich vor erneuter Repression schützen zu können und so kreiert der Staat genau das, was er zerstören will – Widerstand gegen das vorherrschende System.
Heute organisieren sich die Dorfbewohner und solidarisieren sich mit den umliegenden Gemeinden. So ist ein Netzwerk entstanden, dass auf jede Art von Repression (wie Morde an politischen Führungskräften) mit vereinter Stimme und Aktionen reagiert und zudem mit städtischen und internationalen sozialen und politischen Organisationen verknüpft ist.

Neben dem politischen Widerstand gegen die Ausbeutung der Region, die mit der Repression vorangetrieben werden soll, wächst durch die eigene Organisation auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit die Lebensverhältnisse in der Region zu verbessern. Die schwerwiegendsten Defizite dieser abgelegenen Zone sind das Fehlen von Schulen, Ärzten, Strom und Kommunikationsmitteln sowie der zeitraubende und damit teure Zugang. Der Staat ist einzig durch das Militär präsent.

Die Menschen versuchen durch einfachsten Ackerbau (ohne maschinelle Hilfe) ihre Ernährung autark zu gewährleisten. Es wird hauptsächlich Reis, Bohnen, Mais, Yuca, Zuckerrohr, tropische Früchte und Platano (Kochbanane) angebaut. Da sich die erzeugten Agrarprodukte jedoch nicht in Konkurrenz zu subventionierten und maschinell, in erschlossenen Gebieten, erzeugten Produkten verkaufen lassen, sind die Bauern auf den Cocaanbau angewiesen, um ihren Lebensunterhalt (über die Nahrungsmittel hinaus) zu sichern.

Von staatlicher Seite wird argumentiert, dass die militärische Präsenz in der Zone notwendig sei, um die Guerilla und den Cocaanbau zu bekämpfen. Leider, so von offizieller Stelle, verursache dieser Krieg Vertreibung unter der Zivilbevölkerung. Eine umgekehrte Schlussfolgerung : Der Krieg ist notwendig, um die Vertreibung voran zu treiben und die Reichtümer des Sur de Bolivar auszubeuten.