19 Oktober 2006

Sur de Bolívar – einmonatige Begleitarbeit

Neun Stunden Bus von Bogotá Richtung Norden nach Barrancabermeja; eineinhalb Stunden Schnellboot auf dem Rio Magdalena nach San Pablo; drei Stunden Jeep auf unbefestigten Straßen nach Vallecito und dann noch fünf Stunden Fußmarsch auf schlammigen Maultier-Pfaden durch den Urwald – und schon war ich in „El Jardin“. Einen Monat verbrachte ich im äußersten Süden der kolumbianischen Provinz „Bolivar“.
Ich war mit einem Italiener und einer Kolumbianerin unterwegs. In San Pablo wurden wir vom „Präsidenten der Gemeinde“ sehr herzlich in Empfang genommen. Ja eigentlich jede Person die wir getroffen haben, sei es auf der Ladefläche des Toyota, auf den Wegen durch den Regenwald oder in den Dörfern – alle waren überaus freundlich, fürsorglich und – zwar etwas schüchtern und respektvoll – interessiert.
In den vier Wochen meines Aufenthalts pendelte ich zwischen “El Jardin” und der “Granja” (Bauernhof), die etwa eineinhalb Stunden auseinander liegen. Die Granja ist ein politisches Projekt mit finanzieller Unterstützung aus Europa (Baskische Regierung, Paz con Dignidad, EU). Sie soll den Menschen der Region zu einer autarken Ernährung verhelfen und ein zusätzlich Einkommen generieren, um einen Ausweg aus der Coca-Problematik zu schaffen.

El Jardin (Der Garten) ist ein Dorf mit zwölf Hütten und zur Zeit rund 120 Einwohnern, wobei etwa die Hälfte politische Flüchtlinge aus der Region sind. Eigentlich leben sie sehr verteilt, sodass der nächste Nachbar manchmal ein, zwei Stunden entfernt ist. Da es keine Fernkommunikation gibt stellt diese Wohnsituation eine äußerste Gefahrenlage dar, weshalb sich die Menschen seit geraumer Zeit im Dorf zusammengefunden haben, um vereint besser der militärischen Repression entgegen treten zu können. Eine weitere Reaktion auf die Militarisierung der Region ist die politische, soziale und ökonomische Organisation. Diese besteht zum Beispiel in Form von Solidarisierung: Jeder für sich ist den staatlichen bewaffneten Akteuren schutzlos ausgeliefert, eine große Gruppe hingegen lässt sich nicht so schnell einschüchtern und schafft somit Respekt. Zu meiner Ankunft befanden sich zwei militärische Einheiten jeweils etwa drei Stunden (Fußmarsch) vom Dorf entfernt. Sie kontrollierten damit zwei von drei Zugängen.

Nach etwa einer Woche in der Region bin ich mit einer Gruppe von fünf campesinos zur gerade unbwohnten Finca eines Vertriebenen geritten. Auf dessen Grundstück hatte vor zwei Wochen eine Militär-Einheit ihr Lager aufgeschlagen und ihn massiv psychologisch terrorisiert: Sie machten Fotos von ihm, seiner Frau, seinem Kind und sogar vom Hund, nahmen Fingerabdrücke und notierten ID-Nummern und Namen. Zudem töteten sie Hühner und eine Kuh. Mal präsentierten sie sich als AUC, mal als Militär. Dieses Verhalten lässt im regionalen Kontext nur eine Schlussfolgerung zu: Die Absicht des Militärs, und damit der Regierung, die Bevölkerung von dem Land zu vertreiben welches diese rechtmäßig besitzt und seit Jahren bearbeiten. Temporär hat diese Taktik im geschilderten Fall ihr Ziel erreicht, aber die Menschen geben die Hoffnung auf ein Leben in Frieden und AUC-Markierungauf ihrem Territorium nicht auf und kehren immer wieder zurück. Als wir nach drei Stunden seine Finca erreichten war das Militär abgezogen. Ob in die nahen Berge oder per Helikopter an einen entfernteren Ort konnte nicht festgestellt werden. Überall waren die Spuren von Armee-Futter und -Camps zu sehen. Als Drohung hinterließen sie “AUC”-Markierungen an den Bäumen.

Wir versorgten die Tiere (Hühner, Truthähne, Schweine, Kühe) und sind nach drei Tagen wieder ins Dorf zurückgekehrt. Die campesinos hatten ausdrücklich erwünscht, dass ich sie auf dieser “Tour” begleite, da nicht gesichert war, ob das Militär/AUC noch anwesend wäre. Ich sollte also in gewissem Maßen als menschliches Schutzschild dienen – allerdings präventiv und nicht als Kugelfänger. Meine Begleitung bewirkte bei den campesinos eine Angstminderung. Dies wurde immer wieder an Kleinigkeiten deutlich: Zum Beispiel wollten einige nicht an den Fluß angeln gehen, wenn ich nicht mitkäme; oder allein etwas entfernt Yuca und Platano ernten… Die Freiheit der Menschen ist durch die Repression stark eingeschränkt, auch wenn das Militär nicht unmittelbar anwesend ist – die Angst ist allgegenwärtig.

Wie schon teilweise in “Sur de Bolivar – die aktuelle Situation” geschildert, war die Repression bis zum Jahre 2004 viel direkter als in dem oben geschilderten Fall: Das Dorf El Jardin wurde zum Beispiel am 28. Mai 2004 zuletzt komplett niedergebrannt. Die AUC konnten aufgrund ihrer Illegalität nicht zur Rechenschaft gezogen werden; hingegen ist das Militär ein staatlicher Repräsentant, sodass die Regierung Klagen und Demonstrationen gegen Militäraktionen nicht einfach abtun kann. Meist verhallen die Töne des Protests jedoch wirkungslos: 98% aller Menschenrechtsverbrechen in Kolumbien ziehen keine Verurteilung nach sich – es ist gar eine Seltenheit, wenn es ein politischer Mord bis vors Gericht schafft. Insofern muss das Militär die nationale Justiz nicht fürchten. Anders verhält es sich jedoch mit der internationalen öffentlichen Meinung. Hier ist der kolumbianische Staat sehr viel anfälliger.

Mein zweiter Kontakt mit dem Militär war von direkter Natur. Eines Tages kamen sehr aufgeregt drei Frauen auf ihren Maultieren angeritten und berichteten, dass sich das Militär zwischen El Jardin und der Granja niedergelassen habe. Es war eine Atmosphäre von Anspannung und Angst bis hin zur Panik zu verpüren. Da es schon spät war wurde beschlossen, dass ich am nächsten Morgen in den Jardin gehen solle, um mich so zwangsläufig mit dem Militär zu treffen. Auf dem Weg kamen wir an einem Schuppen vorbei, indem Cocablätter zu “Pasta”, eine Vorstufe des Cocains, verarbeitet werden. Kurz zuvor waren Soldaten hier gewesen und hatten die Personalien (Fingerabdrücke, Name etc.) des Besitzers notiert und von ihm ein Foto vor dem “Labor” mit einer Waffe zu seinen Füßen und einem Soldaten an seiner Seite genommen. Es fand also eine Foto-Inszinierung statt, die später als Rechtfertigungsgrund für die Militarisierung der Zone tauglich sein könnte; als wolle er sich mit Waffengewalt wehren. Dabei ist die Unterhaltung eines Cocain-Labors auch schon ein Delikt der mit 15-20 Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Zudem drohten sie ihm, den ganzen Schuppen anzuzünden. Nachher wurde ihm jedoch versichert, dass er beruhigt weiter arbeiten könne… Wieder absolut inkonkludentes Handeln wie es von einem staatlichem Repräsentant nicht zu erwarten wäre und damit Psychoterror. Am Morgen ließen sie zudem einen Dorfbewohner nicht des Weges passieren und wurden handgreiflich.
Kurz später traf ich selbst auf die etwa 120 Soldaten der “Brigada Movil 15” des “Batallon Contraguerilla 98” die ihre Waffen putzten und versuchten die Passierenden auszufragen. Von mir verlangten sie Pass und Visa und befragten mich nach meiner “Mission” in der Region und nach möglichen internationalen Kollegen. Nun spürte auch ich eine Anspannung.
Einen Tag darauf marschierten sie ins Dorf ein. Ein Teil schlug die Zelte direkt neben den Häusern auf. Für mich war diese Situation im Gegensatz zu den Gefühlen der Dorfbewohnern jedoch nicht sehr beängstigend oder bedrohlich. Bis ich die Region verließ hielt die Angst unter der Bevölkerung an und wurde ständig durch Meldungen über Kämpfe und Helikopter-Überflüge aufgefrischt. Doch seit das Militär wusste, dass ich mich in der Region befand gab es keinen einzigen repressiven Übergriff mehr. Ihr Verhalten veränderte sich mit meinem Auftreten auffällig.
Nach einer Nacht zog das Militär weiter. Am folgenden Tag hörten wir Explosionen und erfuhren bald, dass die Guerilla ELN der Armee einen Hinterhalt mit vier Bomben gelegt hatte. Über Tote und Verletzte wurde nichts bekannt, aber es gab sie mit Sicherheit. Es ist ein komisches Gefühl zu wissen, dass einige der Soldaten, die zuvor noch im Dorf waren, im Laden Süßkram kauften und sich mit uns unterhielten einen Tag später tot sind. Durch die in meiner Erinnerung bleibenden Gesichter der Soldaten ist für mich die Anonymität der Toten des Krieges verflogen.

1 Kommentare:

Anonymous Anonym meinte...

Respekt! Das ist ja schon sehr konkret!

Schön ist natürlich das du so direkt die Auswirkungen von deinem Einsatz mitbekommst, das die Übergriffe abnehmen.
Die traurige Frage aber: Was passiert danach?

Dein Blog gefällt mir übrigens gut. Informativ und gut geschrieben. Weiter so und viel Erfolg!

22. Oktober 2006 um 17:09  

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