30 November 2006

Bogotás Barrios

Neben der Begleitarbeit in den verschiedenen, meist ländlichen, Regionen arbeite ich während meiner Zeit in Bogotá in verschiedenen Barrios zusammen mit Studenten der Universidad Nacional. In den letzen Tagen habe ich drei verschiedene Barrios kennengelernt die sowohl viele Singularitäten als auch Kommunalitäten aufweisen.

Weltweit werden einer immer größer werdenden Zahl von Menschen Einkommen, Nahrung, Wohnung, Bildung und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Die Armen sind Opfer unserer Weltordnung im allgemeinen und der kolumbianischen Politik im speziellen.

Oft werden die Armen als gefährlich, als dumm, als unproduktive Schmarotzer und als unorganisiert dargestellt; und zudem sind sie selbst Schuld an all diesem. Doch muss man erkennen, dass sie sehr schöpferisch, kreativ, lebensfroh und reich an Wissen sind was uns Reichen unbekannt ist. Sie sind ein Bestandteil unserer Gesellschaft von dem wir viel lernen können, was aber absolut nicht heißt, dass es erstrebenswert wäre sie von den oben genannten Gütern weiterhin auszuschließen.

Mit einer Gruppe von etwa 15 Studenten verschiedener Fachrichtungen (Politikwissenschaften, Jura, Pädagogik, Philologie, ...) habe ich mit Kindern eines Barrios gearbeitet, indem die Behausungen, äußerlich betrachtet, „ganz ok“ waren; doch die Problematik eröffnet sich mit jedem Schritt den man tiefer ins Barrio eindringt und mit jedem Gespräch das man mit den dort lebenden Menschen führt. Die „Straßen“ erinnern an schlammgefüllte amsterdammer Grachten welche Insekten als ideale Brutstätte dienen und damit Krankheiten verbreiten. Die Arbeiten der Menschen drehen sich um das was wir wegschmeißen: Sie verdienen ihren Lebensunterhalt mit unserem Müll. Glas, Pappe, Plastikflaschen, Dosen, Holz, Stoffe, Elektroteile, organische Abfälle, Metalle uvm. Alles wird gesammelt, transportiert, sortiert und verkauft. Der Transport von den reicheren Gegenden in die ärmeren geschieht durch Karren die per Hand geschoben oder von Pferden gezogen werden.

Durch die spielerische Arbeit mit den Kindern kreieren die Studenten in den ihnen Werte weg vom egoistischem Denken hin zu einem solidarischeren Miteinande. Gleichzeitig lernen sie von den Kindern. Die Studenten begleiten dieses Barrio erst seit zwei Jahren, der Prozess der gegenseitigen Formung hat also gerade erst begonnen. Doch schon sind die ersten Ansätze der Früchte zu erkennen die dieser Prozess (sofern er nicht gestört wird) hervorbringen wird. Ein kulturelles Kennenlernen. Es ist leider sehr wahrscheinlich, dass solche Prozesse, sobald sie eine größere Energie und damit eine größe Macht entwickeln, von Außen versucht werden zu zerstören. Die Paramilitärs kontrollieren die meisten Barrios durch Waffengewalt und lassen nicht zu, dass sich alternative Organisationsstrukturen bilden. Die Gewalt richtet sich in noch massiverem Maße gegen die ärmsten der Armen: Häufig werden Obdachlose durch „soziale Säuberungen“ entfernt, sodass ihre Überlebenskreativität der Menschheit verloren geht.

Einen zweiten Tag bin ich mit einem Jura-Absolventen in ein anderes Barrio gefahren, indem wir die Wohnungslage, die Ernährung und die Geschichten der Menschen erforscht haben. Hier gleichen die „Häuser“ Flickenteppichen aus Holz, Blech, Plastik, Teppich, Ziegeln und anderen Dingen die man als Schutz vor Regen und Wind verwenden kann. Verhältnismäßig zu ihrem Körper haben die dortigen Kinder fast alle zu große Köpfe und sind für ihr alter viel zu klein – Indizien für jahrelange Unterernährung. Manche Tage überdauern sie nur mit Zuckerwasser, an anderen Tagen essen sie wenigstens zu Mittag und ab und an gibt es auch zwei Essen täglich. Einst lebten sie glücklich auf dem Land, als auch ihr Vater noch bei ihnen war. Sie waren nicht reich, aber sie hatten ihr Haus, ihre Tiere, ihr Gemüse und konnten sich so autonom ernähren. Doch eines Tages kam eine bewaffnete Gruppe (wahrscheinlich Paracos) und verschleppte (und tötete?) den Vater. Es folgte eine Flucht-Odyssey der Mutter mit ihren vier Kindern in die Stadt zu Bekannten, von dort in ein Barrio und nach abermaliger Vertreibung kamen sie auf diesen relativ leeren Hügel am Rande Bogotás. Gegenüber die ständige Bedrohung eines Steinbruchs. Delegierte des Steinbruchunternehmens kündigten schon mehrfach an, dass der Hügel geräumt werden wird, damit auch hier Profit gemacht werden könne – auf Kosten anderer.

Und so wird diese Familie mit vielen Leidensgenossen erneut vertrieben. Selbst ein würdiges Leben in Armut wird nicht zugelassen. Diese Familie gehört zu den mehr als 3,8 Millionen Binnenflüchtlingen Kolumbiens (nach dem Sudan die höchste Ziffer weltweit). Zusätzlich suchen etwa drei Millionen Flüchtlinge Zuflucht im Ausland. Damit sind gut 16% aller Kolumbianer Heimatlose und damit Opfer von einer vom Staat intendierten Vertreibungspolitik, welche die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen durch große Konzerne vorantreiben soll. Die EU fördert diesen Prozess mit „Entwicklungsprogrammen“ und wir profitieren davon – doch nur kurzfristig.

2 Kommentare:

Anonymous Anonym meinte...

Sehr interessante Berichte Deiner Arbeit, alles Gute.

Jonas

2. Dezember 2006 um 08:10  
Blogger onca meinte...

Per e-Mail erhielt ich eine Frage, deren Antwort vielleicht mehrere interessiert:

Kommentar:
Danke, dass du uns blog-Teilnehmern mit so guten Informationen versorgst. Eine Frage habe ich, du schreibst an einer Stelle, dass 92 % der Cocain-Einnahmen der USA zugute kommt. Wie kann das sein, ich denke deren Politik ist es doch, in Südamerika die Coca-Felder zu zerstören.

Ich beneide dich um das alles, was du in diesen intensiven Wochen sehen und lernen kannst. Und ein bißchen bewundere ich deinen Mut.

Sei herzlich gegrüßt und Paß gut auf dich auf

Antwort:
Erstmal vielen Dank, dass du den Kram den ich schreibe so aufmerksam verfolgst! Die Frage zeigt, dass die Propaganda-Strategie der USA und der kolumbianischen Regierung sehr gut wirken. Der "war on drugs" ist (genauso wie der "Krieg gegen den internationalen Terrorismus") eine Rechtfertigung für die Öffentlichkeit – mit den wahren Absichten die hinter diesen Metaphern stehen hat das allerdings nichts zu tun.
In Kolumbien geht es hauptsächlich um Rohstoffausbeutung. Es gibt hier fast keine Region die nicht reich an irgendeiner natürlichen Ressource ist. Sogar unter dem größten Armenviertel (Ciudad de Bolivar, 2 Millionen Einwohner) gibt es Kohlevorkommen, die den Armen nun zum Verhängnis werden. Der Krieg, den die USA und die kolumbianische Regierung hier führen ist gegen die Guerilla und die Landbevölkerung gerichtet, mit dem Ziel die rohstoffreichen Regionen zu „räumen“. Die Besprühungen mit dem hochgifitgen Glyphosat zielen zum einen auf die Zerstörung der Cocafelder der Guerilla (die aber nur 20% des Gesamtanbaus ausmachen). Damit wird der Preis der eigenen (paramilitärischen) Cocainproduktion hochgehalten. Zum anderen werden die Nahrungsmittelplantagen der Landbevölkerung besprüht, um ihnen die Lebensgrundlage zu nehmen und sie von den rohstoffreichen Territorien zu vertreiben.
Der Slogan „war on drugs“ vernebelt die wahren Gründe des US-amerikanischem Engagements in Kolumbien.

2. Dezember 2006 um 15:24  

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