21 Dezember 2006

Arauca – zona roja

Das departamento Arauca liegt im geographischen Osten Kolumbiens. Das Terrain ist flach und war ursprünglich von dichtem Urwald bedeckt. Doch mit der Ankunft der Sieder in den 1950er Jahren musste die üppige Vegetation den Viehweiden weichen.

Geschichte

Die Besiedlung Araucas war bedingt durch die als „La Violencia“ bekannte Bürgergriegszeit von 1948-58, ausgelöst durch die Ermordung des volksnahen Präsidentschaftskandidaten Jorge Gaitán am 9. April 1948. Diese Phase der Gewalt forderte 200 000 Tote und eine unzählige Zahl von Vertreibungen. So gelangten auch Flüchtlinge nach Arauca, um in dieser von „Weißen“ bisher unbesiedelten Region ihr Glück zu versuchen. Sie wollten eine neue Gesellschaft aufbauen, die unter den Prinzipien „soziales Zusammenleben“ und „gegenseitiger Respekt“ stehen sollte. Die zehn Jahre anhaltende Gewalt in ganz Kolumbien ließ die Bevölkerung in Arauca schnell ansteigen, sodass eine soziale Organisation notwendig wurde. Die bäuerliche Bevölkerung (campesinos) gründete Kooperativen in den Bereichen Fischfang, Viehzucht, Wasserversorgung, Gesundheitswesen, Transport und Bildung. Sie organisierten die Verbesserung ihres Lebensstandard selbst, da der Staat kein Interesse an der Region zwigte und keinerlei öffentlichen Investitionen tätigte. Mit der Entdeckung von Rohöl wurde Arauca anfang der 80er Jahre auf einmal eines der wichtigsten Gebiete Kolumbiens. Die „Occidental Petroleum Company“ (Oxy) aus den USA beginnt mit der Erforschung des Territoriums und mit dem Eintreffen der Gringos wird die Zone militarisiert. Das Ölfeld „Caño Limón“, das durch die Oxy seit Mitte der 80er ausgebeutet wird, liegt unter dem Territorium des Indigina-Volkes „U’wa“. Dieses wurden nicht konsultiert, geschweige denn in die Verhandlungen über die Öl-Explotation mit einbezogen. Durch die mit der Ausbeutung einhergehenden Umweltzerstörungen wurde den U’wa jegliche Lebensgrundlage entzogen. Für sie ist es ein Kampf ums Überleben. Sie ziehen den kollektiven Selbstmord als ultimativen Ausweg vor – wie ihn tausende U’wa während der brutalen Unterdrückung durch die Spanier bereits vollzogen haben – falls ein würdiges Leben auf ihrem Territorium nicht mehr möglich ist.

Durch die Militarisierung (Paramilitärs und Armee) der Region wurde auch für die campesinos das (Natur)recht auf Leben in Frage gestellt. Außergerichtliche Erschießungen, Massaker und „Verschwinden lassen“ sind an der Tagesordnung. Offizielle Rechtfertigung ist die Guerilla-Kollaboration. Doch die soziale Organisation, die laut der Militärs auf „Guerrilla-Gedankengut“ zurückzuführen ist, lässt sich nicht unterdrücken. Die campesinos streben weiterhin eine Entwicklung an, die auf die Notwenigkeit der Gemeinschaft ausgerichtet ist und damit konträr zum Konsum-Kapitalismus steht, indem die „Notwendigkeit“ erst durch Produktion geschaffen wird.

In den Jahren 1998 bis 2006 erreicht die staatliche Gewalt imense Ausmaße. Zudem herrscht seit März 2006 ein Konflikt zwischen zwei bewaffneten Oppositionsgruppen, der ebenfalls zahlreiche zivile Opfer fordert.

Öl, Militarisierung und Menschenrechtsverbrechen

Die Militarisierung, die mit der Erdölförderung begann, durchdringt das alltägliche Leben der Araucanos. Auf dem Weg zwischen den beiden wichtigsten Städten (Arauca, Saravena) muss man etwa sieben Militärsperren passieren in denen man nach Waffen und Drogen durchsucht wird, an denen die Ausweise eingelesen werden und man nach den Motiven seiner „Reise“ befragt wird. Das Zentrum der Stadt Saravena ist von Polizeiposten abgesperrt, sodass das Viertel einer Geisterstadt gleicht. In den Straßen patroullieren Soldaten wie Polizisten – in jüngster Vergangenheit auch US-Soldaten. Nach inoffiziellen Angaben halten sich in der nahe gelegenen Militärbasis etwa 600 US-Amerikaner auf, die das kolumbianische Militär dabei unterstützen die Sicherheit der Oxy sicherzustellen – durch unzählige Guerilla-Anschläge auf Ölpipelines wird die Ölproduktion häufig unterbrochen.

Das Öl, dass in Arauca gefördert wird, kommt der Region selbst in keiner Weise zu gute. Öffentliche Investitionen sind nicht zu bemerkten, die Straßen bsw. befinden sich in desaströsem Zustand. Die Gewinne werden zu großen Teilen in die USA geleitet oder versacken in der kolumbianischen Korruption. Die Menschen ernten nur Gewalt und Repression mit der sie von ihrem Land vertrieben und in ihrer freien Lebensgestaltung eingeschränkt werden.

Die Menschrechtsverbrechen die durch die offiziellen und inoffiziellen staatlichen Streitkräfte begangen werden füllen ganze Bücher. Exemplarisch für das Vorgehen der Paramilitärs und der Nationalen Armee in der Region werde ich demnächst anhand des Massakers vom 19. und 20. Mai 2004 in Tame (Arauca) berichten, bei dem 13 Zivilisten im Zuge der „Operation Borrasca I“ durch das Militär im Verbund mit den Paramilitärs ermordet wurden.

Aktuelle Situation

Ich verweilte etwa zwei Wochen in Arauca, um den Menschen vor Ort eine gewisse internationale Aufmerksamkeit und damit Schutz zu gewähren. Zur Zeit befinden sich etwa 60 Flüchtlinge in einem Haus in der Stadt, das sie schon seit acht Monaten nicht verlassen können. Sie wurden durch den Konflikt und durch direkte Morddrohungen gezwungen ihre Farmen zu verlassen. Unter den Flüchtlingen sind einige verwundet: Unter anderem ein dreizehn jähriges Mädchen mit einem Beckendurchschuss, ein 40 Jähriger den 2003 eine Autobombe erwischt hat und dessen ganzer Körper von Narben übersäht ist und natürlich die unzähligen Opfer, die durch den Krieg traumatisiert sind, was man in jedem Gespräch mit ihnen erfahren muss.

Allein in der Zeit, in der ich in der Region verweilte sind vier Zivilisten in unmittelbarer Nähe ihrer Farmen ermordet worden. Ich nahm an der Beerdigung eines 23. Jährigen teil, der zunächst gefoltert und dann mit vier Schüssen ins Gesicht erschossen wurde. Viele Angehörige sind während der Zeremonie unter Tränen und Schreien zusammengebrochen.

Doch trotz all dieser Kriegsleiden halten die Menschen an ihrer Überzeugung fest und lassen sich nicht ihre Meinungsfreiheit und die Errungenschaften ihrer sozialen Organisation rauben. Sie halten weiter zusammen und denunzieren jedes Verbrechen an der Menschlichkeit – egal ob es von staatlicher oder von nicht-staatlicher Seite begangen wird

Arauca spiegelt auf schrecklich eindrucksvolle Weise den brutalen Krieg um natürliche Ressourcen wieder, der auf der ganzen Welt geführt wird – in einigen Regionen durch physische- in anderen durch strukturelle Gewalt. Der globale Bürgerkrieg hat längst begonnen...

2 Kommentare:

Anonymous Anonym meinte...

Hallo Julian!!
Ich hoffe es geht dir gut!!
Was du da alles schreibst erschreckt mich ganz schön dolle, so dass ich gar nicht weiß wie ich damit umgehen soll. Einerseits könnte ich es einfach so stehen lassen aber andererseits...,sowas kann man nicht einfach übergehen!!...
Pass auf dich auf!
Liebe Grüße Johanna

25. Dezember 2006 um 12:59  
Anonymous Anonym meinte...

dahilft nur eines: ORGANISIEREN und WIDERSTAND leisten - weltweit
(auf der blog-seite befinden sich einige links, die weiterhelfen können (infos zu sammeln), des weiteren gibt es viele bereits bestehnde organisationen, die "abhilfe" leisten (bei bedarf an Julio wenden)

21. März 2007 um 03:31  

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