15 Januar 2007

Sierra Nevada de Santa Marta

Die letzten drei Wochen waren ebenso interessant wie die ersten drei Monate, aber sehr anders – etwas touristischer angehaucht. Ich habe an einer „Tour“ teilgenommen, bzw. sie mit organisiert, die den Austausch zwischen verschiedenen „comunidades en resistencia“ (Widerstandgemeinden) innerhalb Kolumbiens zum Ziel hatte. Diese politische Aktion zur Vernetzung und Koordinierung des Widerstands gegen die staatliche Oppression wurde von einem anonymen Schweizer finanziert. Fünf Schweizer und ich belgeiteten die sieben Kolumbianer aus dem departamento Cauca, sodass die „Tour“ nicht nur einen innerkolumbianischen Austauschprozess förderte, sondern auch eine internationale Komponente aufwies. Wir machten Station in Barrancabermeja, Sur de Bolívar und in der Sierra Nevada de Santa Marta, wobei die Sierra Nevada für mich den Höhepunkt darstellte, da sie im Gegensatz zu Barranca und dem Sur de Bolívar absolutes Neuland war.

Barrancabermeja

Eine 200 000 Einwohner zählenden Stadt am Ufer des wichtigsten Flusses Kolumbiens, des Rio Magdalena. Die Durchschnittstemperatur beträgt satte 28°C, sodass es tagsüber mit etwa 35-40°C meist brütend heiß und damit äußerst unangenehm ist. Wichtigster Wirtschaftsfaktor ist das Erdöl. Hier ist Kolumbiens größte Raffinerie angesiedelt und im Umland wird reichlich Öl gefördert, sodass „Barranca“ auch als „Erdölhauptstadt“ des Landes bezeichnet wird.

Wie in der gesamten Region des „Magdalena Medio“ erlebte hier der Terror 1998 seinen Höhepunkt. In diesem Jahr marschierten Paramilitärs in die Stadt ein und machten es sich in den Privathäusern gemütlich und befehligten deren Bewohner. Die Polizei unternahm natürlich nichts – warum auch, wenn es doch eine vom Staat geplante Strategie der „sozialen Säuberung“ war. Nur werden für solche unpopulären Maßnahmen die Paramilitärs und nicht das Militär selbst genutzt, damit der Staat nicht angeklagt werden kann, da es sich bei den „Paras“ ja um eine illegale Gruppe handele. Ein exemplarisches Verbrechen für diese Zeit ist das Massaker vom 7. Mai 1998. Sieben Menschen wurden im Fußballstadion erschossen und 16 weitere „wurden verschwunden“.

Wir trafen uns in Barranca mit Mitgliedern der OFP (Organización Feminina Popular), eine Organisation, die schon seit 35 Jahren für die Rechte der Frau eintritt und sich .u.a. dem Kampf gegen Ungerechtigkeit, Straflosigkeit und Armut widmet. Als soziale Organisation erlitt die OFP auch massive Repression. So wurde z.B. 2001 eins ihrer Häuser „geklaut“, das als „Armenküche“ diente. Die Paras kamen mit schwerem Bau-Gerät und transportierten das komplette Gebäude ab.

Auch die soziale und politische Gleichschaltung die durch die Paramilitärs in den Städten errichtet wurde kann man gut am Beispiel Barranca verdeutlichen. Um die Armenviertel besser kontrollieren zu können wurden in fast allen wichtigen Städten Kolumbiens „soziale Projekte“ geschaffen und gleichzeitig bereits existierende Einrichtungen sabotiert und verboten. In „Barranca“ eröffneten die Paramilitärs gegenüber der OFP-Einrichtungen, die billige Mittagessen für die bedürftige Bevölkerung ausgaben, Konkurrenz-Lokale mit noch billigeren Preisen. Doch da die OFP eine sehr starke Organisation mit internationalem Rückhalt ist, ist es den Paras in „Barranca“ nicht gelungen die sozialen Projekte komplett zu verdrängen. Die meisten Städte und Dörfer werden jedoch auf diese und andere Art und Weise beherrscht. So wird jede politische und soziale Basisorganisation im Keim erstickt. Jetzt wird auch deutlich, welchen Nutzen die militärisch erzwungenen Vertreibungen haben. Zum einen können die natürlichen Ressourcen auf dem Land ohne Widerstand abgebaut - und zum anderen kann die Bölkerung in den verelendeten Vorstädten leicht kontrolliert werden. Der interne Krieg ist also absolut notwendig, um das System der Macht- und Reichtumskonzentration aufrecht zu erhalten.

Sur de Bolívar

Ein drittes Mal führte mein Weg in die unwegsame Region im äußersten Süden des departamento Bolívar. Innerhalb dieser vier Monate die ich nun diese Gegend fast regelmäßig besuchte hat sich Vieles verändert, nur leider zum Schlechteren. Das Militär übt nun fast über das gesamte Gebiet ihre Kontrolle aus und hantiert mit allen Mitteln, um alternative Entwicklungsformen zu zerstören. Führungspersönlichkeiten werden bedroht oder gefangen genommen – natürlich ohne Rechtsgrundlage. Die Verhaftungen erfolgen meist auf Grundlage von bezahlten „Zeugen“ – also korrumpierten Leuten, die für viel Geld gegen ihre ehemaligen Nachbarn eine vom Militär diktierte Aussage machen.

Der Paramilitarismus in der Zone ist ebenfalls noch nicht beendet. Offiziell wurden die Paramilitärs zwar demobilisiert – da sie ihre Arbeit in großen Teilen des Landes erfolgreich beendet haben (ihr Landraub ist legalisiert und ihre Verbrechen stehen unter Amnestie), aber ab und an werden sie noch für besonders „dreckige“ Aufgaben benötigt. Dafür treten sie als „Aguilas Negras“ oder sonstige paramilitärische Gruppe mit neuem Namen auf, doch prinzipiell wurden sie ins Militär eingeliedert.

Unter dieser prekären militarisierten Situation leben die campesinos heute in ihren einfachen Dörfern. Jeden Moment müssen sie fürchten verschleppt, erschossen oder vertrieben zu werden. Viele denken darüber nach, die Region zu verlassen, doch die Alternativen sehen ebenfalls düster aus. Etwa 70% der campesinos sind Analphabeten, sodass für sie ein Leben in der Stadt fast zwangsläufig in einem Elendsviertel enden würde.

Selbst Weihnachten konnte keine wirkliche Freude aufkommen. Ich habe eigentlich Weihnachten 2006 nicht erlebt – mir macht das nichts aus, doch empfinde ich Trauer für die Menschen denen dieses Feste soviel bedeutet. Am 25. gab es ein gemeinschaftliches Essen am Fluss – das wars dann aber auch schon.

Doch unser Besuch und der Austausch zwischen den verschiedenen kolumbianischen Gemeinden hat auch Hoffnungen geweckt. Die nationale und internationale Begleitung gibt ihnen das Gefühl in ihrem Kampf für ein würdiges Leben nicht alleine zu sein.

Sierra Nevada de Santa Marta

Die Berge der Sierra Nevada de Santa Marta haben einen sehr eigenen Geist. Die Gipfel erheben sich quasi aus dem karibischen Meer bis zu einer Höhe von 5775m. Damit ist die „Sierra“ das höchste Küstengebirge und bietet ein einzigartig vielfältiges Ökosystem. Die vier indigenen Völker Wiwa, Kankuamo, Arhuaco und Kogis, die diese Region „seit die Erde geboren ist“ bewohnen, haben bis heute ihre traditionellen Lebensformen bewahren können, auch wenn einige christlich-westliche Einflüsse in ihre Kulturen eingedrungen sind.

Wir sind vom Arhuaco „César“ (sein spanischer Name) eingeladen worden. 2006 ist er für drei Monate durch Europa gereist und hat auf seiner Tour auch die Schweizer kennengelernt. Nun wollte er uns die Gelegenheit geben auch seine Kultur zu erleben.

Die Kultur der Arhuacos umfasst etwa 20 000 Personen, die nahezu alle ihre traditionelle Kleidung tragen und in einem Gebiet leben in dem es Personen anderer Kulturen nur mit Erlaubnis gestattet ist einzudringen. Die Männer kauen, wie alle Indiginavölker der Anden, Coca. Sie gibt ihnen Kraft und hilft den Kontakt zur Pachamama herzustellen. Sie leben im Einklang mit der Natur und lehnen jegliche „Entwicklung“ der westlichen Welt ab. So bevorzugen sie, dass ihre Dörfer nicht ans Elektrizitätsnetz angeschlossen werden und die Wege und Straßen unasphaltiert bleiben. Sie benötigen nichts von außen und versuchen auch das ihnen aufgezwängte fern zu halten, um jede Abhängigkeit vom Staat zu verhindern und ihre Autonomie zu bewahren.

Doch da die westliche Kultur versucht alle anderen Kulturen auszulöschen und dieser Kampf in Kolumbien mit Waffen und anderen repressiven Mitteln geführt wird, nutzen die Arhuacos gewisse technische Entwicklungen, um dem Gegner die Stirn bieten zu können. So sind Mobiltelefone und Jeeps in Gemeinschaftsbesitz Mittel, um schneller auf Angriffe reagieren zu können und durch Aufrufe nationalen und internationalen Beistand zu mobilisieren.

Das Dorf „Nabusimake“ – die Hauptstadt der Arhuacos – weist eine Architektur mit gewissen katholischen Stilmitteln auf, die verbunden mit den örtlichen Gegebenheiten und der traditionellen Bauweise eine interessante Mischung ergeben. Die Dächer sind mit Ried gedeckt, die Mauern sind aus Lehm- und der Sockel aus Natursteinen erbaut.

Da ich Silvester mit ihnen verbrachte musste ich leider miterleben, dass die christlich-westlichen Feiertage die traditionellen Festtage (Ernte, besondere Sonnenkonstellationen) der Arhuacos verdrängt haben. Es wurde viel Alkohol getrunken und zu einer ser simplen Akkordeonmusik getanzt, die nun wahrlich nichts mit den ursprünglichen Rythmen und Instrumenten zu tun hatte.

Aufgrund der Tatsache, dass die kolumbianische Verfassung von 1991 besondere Rechte für Indiginas vorsieht und internationale Aufmerksamkeit für Indiginas sehr viel leichter erregt werden kann als z.B. für „einfache campesinos“ aus dem Sur de Bolívar, ist die Repression in der Sierra nicht so massiv wie in anderen Gegenden. Doch auch das Gebiet des Indigina-Volkes Kankuamo in der Sierra Nevada de Santa Marta ist militarisiert und es besteht die Gefahr, dass diese Kultur in naher Zukunft verschwindet.

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